Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Inselurlaub auf Poel 2022
2. See-Pferde & Drachen
Der nächste Morgen schaut trüb über die Baumwipfel vor dem Fenster. Ich spüre alle meine Knochen vom Tag zuvor.
Das Laufen und Bewegen im weichen Ostseesand ist der Harzwanderer nicht gewöhnt und nun streikt das künstliche
Gelenk. Wir entscheiden uns, heute den Strand zu meiden, stattdessen dem Örtchen Timmendorf, am westlichen Ende
der Insel, einen Besuch abzustatten. Dieser kleine und mondäne Badeort glänzt mit vielen überaus exklusiven
Apartments, die als luxuriöse Häuser im Baustil der Insel ebenfalls zu mieten sind. Sieht wirklich großartig aus, hat aber
mit dem realen Inselleben nicht mehr viel gemein. Außerdem nichts für die kleine Geldbörsen und Bedürfnisse von
Leuten wie „mich und dich“. Hier urlaubt der betuchte Teil meiner Altersklasse und das soll er auch. Wir möchten nur
einmal zugucken.
Reichlich zehn Minuten später lassen wir die Harzkarosse auf dem Parkplatz am Ortseingang stehen. Vor uns spuckt ein
Reisebus eine Touristengesellschaft von „Beige-ischen“* aus, die sicher gleich die vielen kleinen Restaurants aufsuchen
werden, um Fischbrötchen zu bestellen. Mich zieht es zunächst zum Hafen mit all den Yachten und alten Kähnen, denen
man schon von weiten das Fahren in rauer See ansieht. Ich bestaune auch die flotten Yachten, hatte ich doch selbst
einmal die Chance, auf so einem Segler über die Ostsee bis Dänemark zu schippern. Doch das ist eine ganz andere
Geschichte.
An die südliche Seite des Hafens schließt sich eine wild zerklüftete Steilküste an. Betreten auf eigene Gefahr, warnt ein
Schild, und schon gehe ich daran vorbei und dahinter weiter. Zwischen Bruchkante und einem Feld aus Schlick und
Steinen, das schwarze Reiher und Möwen beanspruchen, windet sich ein Pfad. Wie in Zeitlupe gehe ich hier entlang,
bestaune die Formationen aus Sand, die Höhlen und Löcher darin, und steige über herunter gebrochene Bäume, die
den Strand blockieren. Beinahe fühlt man sich hier wie in eine andere Welt eingetaucht, in der man zum Staunen Gast
sein darf. Die Vögel hocken im flachen Wasser auf Steinen oder spreizen ihre Flügel (zum Trocknen?). Das alles strahlt
viel Ruhe und Faszination aus. Fast möchte man sich zum Meditieren hinzu setzen. Beim Versuch, einen der glitschigen
Steine für ein Foto zu besteigen, rutsche ich prompt aus und bleibe mit einer Sandale im Spalt stecken. Mit einer
akrobatischen Turneinlage verhindere ich eine Bruchlandung zwischen den Steinen. Das war knapp und hätte auch
anders enden können!
Die urbane Natur hinter dem Hafen ist kaum verdaut, da verlangt der Magen ebenfalls nach frischem Inhalt. Meist lese
ich alle möglichen Arten von Fischbrötchen, aber mich gelüstet es nach Fisch, nicht nach gebackenem Teig. Im
Vorgarten einer Bäckerei bestellen wir letztlich Soljanka (mit Brötchen) und die schmeckt sogar ganz gut. Um meinen
Appetit zu stillen, reicht die heiße Schale völlig aus und der Preis ist in diesem mondänen Umfeld auch gerechtfertigt.
Gestärkt und ausgeruht zieht's uns doch noch einmal zum Strand. Immerhin sind wir in Timmendorf, nicht zu
verwechseln mit Timmendorfer Strand. Hier laufen wir auf dem feinsten Sand der Insel. Deshalb strahlt der Strand hier
eine andere, eher biedere Atmosphäre aus, mit perfekt ausgerichteten Linien von Strandkörben. Das Baden scheint
genormt, der Strand gut gefegt und freie Sicht nur in der ersten Reihe möglich. Nicht mein Ding, aber der nette alte
Seebär mit dem weißen Vollbart plus Campingstuhl stimmt mich wieder versöhnlich. Der lässt sich gern von mir zur
Erinnerung an diesen Moment ablichten. Danach stampfe ich durch den feinen Sand bis zur Mole. Von einem Kutter, der
dort liegt, kaufen wir zwei frisch geräucherte Happen Makrele und Heilbutt (ohne Brötchen), die wir abends, vor der
Flimmerkiste – Goodbye Queen Elisabeth II - in aller Ruhe genießen werden. Wat mut, dat mut.
Der nächste Morgen verspricht mit Cirruswolken am blauen Himmel einen schönen Tag. Beim Kaffee entsteht die Idee,
wieder zu den Kite-Surfern zu fahren. Dieser Strand ist etwas abgelegen und sehr ruhig, wenn der Wind bläst. Heute
weht uns ein frischer Wind ins Gesicht und durch meine Klamotten auch. In einer Grasmulde an den Dünen kann man
ihn aushalten. In Richtung Timmendorf trainieren wieder die Surfer. Ich möchte aus der Nähe zusehen und mache
einen Strandspaziergang bis zu einer Sandbank. Was für ein Spektakel in den Wellen: Aufsteigen, Wellen reiten und
Notbremse auf der Sandbank. Wieder und immer wieder. Wir sind drei Stunden hier und genau so lange sind die beiden
im Wasser. Manchmal wünsche ich mir, noch einmal jünger zu sein und Möglichkeiten nutzen zu können, von denen ich
nicht mal zu träumen gewagt hätte. Aber ich bin an der See, genieße diesen Anblick und das Spiel der Surfer. Was will
ich eigentlich mehr?
In Neuhof, das man auf dem Weg hierher durchfahren muss, gibt es ein Gestüt sowie ein herrliches Herrenhaus zum
Bestaunen. Die Pferde stehen ringsum auf der Koppel und manchmal trifft man auch Reiter. Dass dies auch am Strand
geschieht, kann man ahnen oder man spürt es, wenn man in einen der Pferdeäppel tritt. Dies hier ist ein „wilder
Strand“. Pferde, Hunde und Menschen teilen sich diesen Abschnitt. Es verwundert mich auch nicht, als sich uns drei
Reiter auf den Sandbänken nähern. Ein faszinierend schöner Anblick - Pferde in der Ostsee!
Wenige Minuten später stehe auch ich auf der ersten Sandbank und laufe weiter im knietiefen Wasser bis zur nächsten
und übernächsten, bis ich endlich die letzte erreiche. Jetzt wird es tiefer und endlich reicht es auch zum Schwimmen.
Das Wasser fühlt sich immer noch wie angewärmt an und es prickelt angenehm auf der Haut. Nein, gar nicht kalt,
angenehme 17° Celsius. Kaum ein Unterschied zur Luft. Selbst der Wind ist irgendwie erfrischend. Ich schmecke das
Salz, spüre das Seegras und wende mich wieder dem Strand zu. Ich fühle mich privilegiert, bei Sonnenschein, Wind und
Ostseewellen baden zu dürfen. Es geht mir gut, denn ich darf wie ein Kind im der Ostsee plantschen. Weiter draußen
wäre es möglich, zu schwimmen, aber das ist hier, auch wenn es nicht so aussieht, gefährlich.
Wir haben noch ein Spielzeug für den Zeitvertreib mitgebracht, einen Minidrachen. Der ist schnell aus dem kleinen
Beutel befreit, der dreigliedrige Schweif ausgerollt und sodann in den Wind gestellt. Was folgt, ist eine Bruchlandung.
Vor Jahrzehnten habe ich selbst einmal einen (großen) Drachen gebaut und der flog weit oben. Daher weiß ich, dass
dem Schwanz des Ungeheuers quasi die Schlüsselrolle zukommt. Im Sand liegt trockenes angeschwemmtes Holz und
davon binde ich ein kleines Stück ans Drachenschwänzchen. Zweiter Versuch und siehe da, das kleine Fluggerät pendelt
stabil im Wind und steigt in ungeahnte Höhen. Dort oben, im Blau des Himmels, ist er kaum noch zu sehen. Alle großen
Kinder freuen sich und alle anderen Strandbesucher staunen. So geht das Spiel und wir sind glücklich.
Am frühen Nachmittag verlassen wir unseren Lieblingsstrand. Von der höchsten Erhebung der Insel ist zu sehen, wie
die Wolken über Wismar Regen ausschütten. Eine Stunde später hat eine Wolke auch Gollwitz erreicht und lässt es zehn
Minuten vor dem Fenster richtig prasseln. Danach ist die Inselwelt wieder im Gleichgewicht. Also besuchen wir am
späten Nachmittag die Ostseewellen ein zweites Mal, jetzt allerdings am Schwarzen Busch. Vor dem Abendessen
entspannt eine Stunde Möwen besuchen und den wunderschönen Regenbogen über den Baumwipfeln bewundern.
Zwischen den Buhnen steht jetzt kein Wasser mehr. Wir kommen den Möwen nahe, sehen dicke Wolken über Fehmarn
aufziehen und beschließen, den Heimweg anzutreten.
* Kosewort der Mittdreißiger für Senioren, da diese meist beigefarbene Kleidung tragen.
Fortsetzung
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