Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Zur Wolfsklippe & zum Ferdinandstein
08.08.2024
Die Idee kam einfach so, zwei Tage nach meiner ersten Brocken-Tour. Man könne ja mit dem Bus von Ilsenburg bis zur
Waldgaststätte Plessenburg (auf 545 m) fahren, von da zur Wolfsklippe (auf 720 m) weiter wandern und eventuell noch
den Ferdinandstein besuchen. Den zweiten Teil müsste ich allein bewältigen, den Rückweg, fünf Kilometer über den
Ilsenstein zum Parkplatz, würden wir gemeinsam zu Fuß wandern. Jeder nach seinen Wünschen und Möglichkeiten.
Kurz nach 12.00 Uhr besteigen wir den Bus, zehn Minuten später stehen wir vor dem alten Forsthaus der Plessenburg.
Hier trennen sich (vorerst) unsere Wege.
Hinter dem alten Forsthaus führt ein unscheinbarer steiniger Weg ins Unterholz. Schon nach wenigen Schritten stolpere
ich über Steine und Geröll ziemlich heftig aufwärts. Jeder Schritt ist, der Steine und Stolperfallen wegen, eine
Herausforderung. Nur fünf Minuten dauern die dreihundert Meter Steilpfad, „Goldstückel“ genannt, aber die haben es in
sich. Schnaufend oben angekommen, führt dieser Weg durch eine kleine ebene Fläche, umrahmt von Wald, blühendem
Gesträuch und Todholz. Mein Puls ist wieder normal und das Gehen ein reines Vergnügen in luftiger Höhe. Vor mir
erheben sich mehrere Bergkuppen, ich muss nur noch die richtigen finden. Ein Wegweiser hilft mir weiter.
Statt nach rechts, zu den Ilsefällen, wende ich nach links, dem nächsten aufsteigenden Stolperpfad zu. Auch der ist,
welch Wunder, mit Steinen und Geröll nur so übersäht und hat tausend Stolperfallen. Von oben kommen mir mitleidig
lächelnd Wanderer entgegen. Am Ende der Geröllpiste windet sich die kleine Fortsetzung in den Hang hinein, zum
Ferdinandstein. Ich entscheide mich, diesem Hang entlang aufwärts zu folgen, um zunächst die Wolfsklippe
aufzusuchen. Hier läuft es sich auch besser und eine schöne Aussicht gibt es auch zu bestaunen, ehe mich wieder
dichter Wald umschließt. Als hätte sich hier nie ein Borkenkäfer blicken lassen, recken sich Nadelhölzer stolz gen
Himmel. Als nach zwei, drei Biegungen der Wald endet, stehe ich vor einem riesigen Berg Geröll, Felsbrocken und
Baumstümpfen: die Wolfsklippe.
Bis zur Spitze des Geröllhaufens, wo ein Metallgerüst mit einer guten Aussicht lockt, sind es nur noch dreihundert Meter.
So steht es auf einen Wegweiser. Also folge ich dem Hinweis und finde zunächst den grünen Stempelkasten.
Stempelabdruck ins Wanderheft, Harzstein hinterlegt. Dann beginnt der Aufstieg ins steinerne Trümmerfeld. Der Pfad
windet sich über Wurzeln, an Steinen vorbei, der Kuppe entgegen. Als die letzten 50 Meter vor mir aufragen, muss ich
passen. Zu gefährlich für die künstliche Hüfte. Da käme ich vielleicht noch hoch, aber runter würde mein Hüftgelenk
Probleme bereiten. Das muss ich mir, mit fast 75 Lenzen, nicht antun. Also kapituliere ich ehrenvoll, wende mich
abwärts und habe einen grandiosen Blick zum Brockenplateau. Ich will wieder absteigen, als ein bekannter Pfiff von da
herüber weht: die Brockenbahn. Die dreht gerade ihre letzte Runde ums Plateau und zieht dabei eine dicke Rauchfahne
hinter sich her. Mir bietet sich ein schönes, imposantes Bild. Lächelnd steige ich ab von der natürlichen Geröllkippe. Mit
diesen Fotos „im Kasten“ und dem Stempel im Wanderheft begebe ich mich auf den Rückweg.
Als ich Minuten später wieder am Wegweiser zum Ferdinandstein stehe, entschließe ich mich, in den schmalen
Geröllweg einzusteigen und auch diesen Gipfel, samt Stempel, einzuheimsen. Der Geröllweg ist kurz, ich stehe auf einer
freien Fläche mit jungen Nadelbäumen. Ein Trampelpfad im hohen Gras ist der einzige Hinweis zum Gipfel. Je höher ich
steige, desto unwegsamer wird das Gelände. Schließlich muss ich über große Steine steigen und die letzten krauchend
bezwingen. Plötzlich stehe ich auf dem Gipfel in luftiger Höhe, aber nirgends ein Stempelkasten. Dafür aber ein
grandioser Blick auf die Berge und den Brocken. Es hat sich gelohnt! Ich drehe mich um - in fünfzig Meter Luftlinie ragt
ein anderer Steingipfel empor und zwischen dem Geröll schimmert das Grün eines Stempelkastens. Na prima! Ich muss
wieder runter und das wäre beinahe schneller vonstatten gegangen, als mir lieb sein konnte. Da hatte ich wohl mehr
Glück als Verstand. Im Gewirr junge Nadelbäume kann ich keinen Weg zum Ziel mit Stempelkasten finden. Aber noch
einmal wild klettern verkneife ich mir, ich trete auch diesmal den ehrenvollen Rückzug an. Auf dem Ferdinandstein war
ich, habe die herrliche Aussicht genießen dürfen und kann das mit herrlichen Fotos belegen. Den Stempel muss ich jetzt
nicht haben, den hole ich mir später (wenn ich 75 bin) von der anderen Seite.
Wieder auf dem Wanderweg, komme ich zügig voran und erreiche nach einer halben Stunde, gegen 15.00 Uhr, wieder
den Waldgasthof, wo meine bessere Hälfte ein Hörbuch liest und Feldmäuse bei der Arbeit beobachtet. Diese Anlage ist
ein Idyll für Groß und Klein auf halber Harzhöhe und gut besucht. Statt Kaffee zu schlürfen, löffeln wir aus einem Teller
Linsensuppe mit zwei Bockwürsten. Nebenbei bestaune ich die Fotos der Familie Grasmaus zu Plessenburg. Bringt man
Zeit und Ruhe mit, gibt es im Harz überall Überraschendes zu sehen und zu erleben. Ausschließlich hetzend Stempel zu
jagen, kann man machen, blendet aber die Schönheiten der Natur völlig aus. Man tauscht nur Stress gegen Hatz!
Ehe mich Linsen und Bockwurst träge machen können, treten wir den Rückweg an. Diesmal wollen wir zunächst zur
Padernosterklippe. Auf dem Wanderweg am Hang entlang komme ich wieder gut in Tritt und kann nebenher die vielen
schönen Momente mit herrlicher Aussicht genießen. Über dem Brocken ziehen dicke Wolke hierher, während das Tal
unter uns in Sonnenlicht getaucht strahlt. Den Fels über dem Ilsetal erreichen wir zügig. Der Name soll von einer
Gruppe Nonnen stammen, die sich hier, ein letztes Vaterunser rufend, vor Raubrittern in die Tiefe gestürzt haben sollen.
Wir wandern lieber dran vorbei, nunmehr am Hang über dem Ilsetal entlang zum Ilsestein.
Der Blick nach unten ist traumhaft schön, während die Berghänge vom Blühen vieler Gewächse eine bunte Farbenpracht
zaubern. Da fällt das Laufen in üppiger Natur besonders leicht. Auch der Ilsestein ist schnell erreicht. Wir nehmen uns
Zeit für eine Cola-Pause und Gesprächen mit Wanderern über den Wanderstock eines Rock-Rentners. Die
Gesprächsrunde verlässt, in kleine Gruppen aufgesplittert, den Ort und jeder geht sein eigenes Tempo am Hang entlang
hinab ins Tal. Ein Wanderpaar mit Tochter kommt uns entgegen. Ich frage erst die Mama, dann darf ich der
überraschten Pia einen Harzstein mit Piepmatz in die Hand drücken. Wie schön doch ein glückliches Kindergesicht diese
Welt machen kann! Noch glücklicher allerdings lächelt die Mama. Keine Ahnung, wie ich lächle. Die Blicke ins Tal und auf
die Hänge gegenüber entschädigen für meine schmerzenden Füße auf der Schottersteinpiste abwärts. Nach mehr als
zehn Kilometern spüre ich jetzt die kleinen Stöße in den Füßen, Knien und der Hüfte.
Den letzten Kilometer im Tal bis zum Parkplatz wandle ich nur noch mechanisch, aber zügig. Plötzlich bin ich müde,
sehne mich raus aus den verschwitzten Klamotten unter eine Dusche. Das Erlebnis Harz aber war wieder einmal
einmalig und atemberaubend schön. Mit mir haben unmerklich Wandlungen stattgefunden, haben sich Prioritäten durch
Aktivitäten und Entdeckungen verschoben. Nichts ist, auch beim Menschen, so konstant, wie Veränderung. Warum
eigentlich klammern sich dann viele an Dinge und Zustände, die vergänglich sind?