Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Borkum – die Watt-, Wasser- und Wolkenkur
September 2019
Ein Sonnenuntergang kann sehr schön sein. Ganz besonders dann, wenn man das Ereignis quasi aus dem „eigenen“
Wohnzimmer bewundern kann. Dann färben sich Himmel und die darunter glitzernde Wasserfläche blut- bis dunkelrot
und ein grell leuchtender Sonnenball versinkt ganz langsam hinter der Trennlinie zwischen beiden Elementen. Es wird
Nacht, die Nordsee schimmert im silbernen Licht des Mondes und die Wasserfläche glänzt wie ein dunkler Spiegel.
Diesen atemberaubenden Anblick darf ich jetzt, bei entsprechenden Wetterverhältnissen, volle drei Wochen aus meinem
Zimmer auf Borkum genießen. Was für ein Geschenk, während einer Kur so einen Ausblick haben zu dürfen! Am Morgen
wacht man auf, zieht den Vorhang am Fenster zur Seite und sieht als erstes das Meer.
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Das Tagesprogramm ist für uns alle straff, lässt aber genügend Zeit, die Insel und deren Natur zu erkunden. Auch das
Wetter spielt in diesen ersten Septembertagen vorbildlich mit. Am Tage spannt sich ein azurblauer Himmel mit einigen
Wolken über die stahlblaue See. Die Wellen glänzen manchmal mit ihren Schaumkronen und weit draußen kann man
vereinzelt Schiffe entdecken. Im Vordergrund, gleich hinter den Dünen, breitet sich das Watt aus. Wie ein nur scheinbar
schmaler Streifen zieht es sich bei Ebbe an der Küste entlang. Dann kann man barfuss durch das Watt wandern und
wundert sich, dass man bis zum Wasser mehr als eine Viertelstunde benötigt. Einige Abschnitte des Strandes bestehen
aus lockerem Sand, andere wiederum sind fest wie Beton. Eine bessere Fußmassage gibt es nicht. An den Stellen, wo
das Wasser gerade abgezogen ist, steht man plötzlich im Schlick. Dieses Waten durch den Schlick ist ungewohnt und
strengt ein wenig an. Erst nach und nach gewöhnt man sich daran und empfindet sogar Vergnügen. Das ist der
eigentliche Sinn und Zweck der Übung, wenn man hier sein darf, um sich zu erholen: Energie tanken.
Es gibt viel zu sehen, wenn man sich die Zeit nimmt und den Blick schweifen lässt. Natürlich sieht man hier viele
Möwen. Sie schwimmen auf dem Wasser, sie laufen über den Sand und fliegen. Von oben sehen sie besser, wo etwas
Fressbares zu finden ist. Eine Krabbe zum Beispiel oder einen Wurm, der sich aus dem Sand traut. Oder sie suchen
zwischen den Robben, die bei Ebbe faul auf den schmalen Sandbänken nahe dem Wasser liegen. Das gestresste Auge
findet hier Ruhe, weil sich der Blick weitet und die Ruhe behutsam Bilder malt, die den inneren Pegel auspendeln lassen.
Die Zivilisation mit den Häusern hinter den Dünen liegt weit zurück und hat ihre Bedrohlichkeit verloren. Sie ist
geschrumpft, zu einem Miniaturbild geworden und verblasst in der eigenen Wahrnehmung.
Der Wind hat in den feinen Sand unter den Füßen skurrile Formen und seltsame Reliefs gemalt. Ein paar hundert Meter
weit ist kein einziger menschlicher Fußabdruck zu entdecken. Hier kann man sich direkt in die Stille setzen und hinter
den Dünen verschwindet dann auch noch der Rest zivilen Lebens. Die Natur hier ist leise, nur ein Hauch Wind und viele
Grashalme, die sich von ihm anregen lassen. Es ist Meditieren unter freiem Himmel und dann kommt langsam, ganz
langsam das Wasser aus der See und spült unscheinbare Formen und Gegenstände an, die Fantasien anregen. Plötzlich
entdeckt man darin eine filigrane Halskette oder ein welkendes Blatt. Es ist schön, sich den Träumereien hingeben und
alle anderen Gedanken auszuschalten.
Man kann sich aber auch ein Fahrrad ausleihen und Borkum in einem größeren Radius erkunden. Es kann sein, dass
man dann irgendwo Enten sieht und sogar Hasen entdeckt, die hier überall hoppeln. Und dann gibt es an manchen
Stellen Sanddorn soweit das Augen reicht: „Hoch stand der Sanddorn am Strand von …“, aber dies hier ist Borkum, was
den stacheligen Strauch nicht hindert, auch hier seine gelben Früchte zu tragen. Irgendwo dahinter hebt sich ein
dunkler Turm gegen den Himmel ab und man fühlt sich in einen Hitchcock-Film versetzt. An dessen Spitze sammeln sich
nämlich die Raben in Scharen. Sie umfliegen ihn in großen Schwärmen, um dann wieder auf der Spitze anzukommen
und in die aufziehende Dämmerung zu entfliehen. Die ruhige See hat sich jetzt mit ihrem weithin silbern glänzenden
Umhang verkleidet, auf dem wie dunkle Schatten die Silhouetten vieler Schiffe zu sehen sind. Nur Minuten später kann
man den nächsten wundervollen Sonnenuntergang bewundern. Und das Tag für Tag, drei Wochen lang.
Am Morgen darauf liegt die Nordsee, ausgebreitet wie ein riesiger Teppich, vor den Augen. Still und mächtig, als könne
sie nicht auch wild aufgepeitscht daher kommen. Das tut sie, wenn sich dunkle Wolken am Himmel ballen, wenn aus
Wind Sturm wird und die Wellen mit schäumenden Kronen vor sich her treibt. Dann zeigt sie uns ihre raue und
ungezähmte Seite, die nicht minder schön ist. Schon Stunden später hat sich alles wieder beruhigt und nur ein flotter
Wind lässt noch ahnen, was zuvor geschah. Dann kann man erleben, wie Pferdedroschken über den Strand jagen und
kleine rollende Gefährte von bunten Drachen am Himmel über den Sand gezogen werden.
Die Insel ist zu jeder Zeit voller Leben. Ein Markenzeichen von Borkum ist die Möglichkeit, vom prallen Leben auf der
Seepromenade, mit ihrem davor gelagerten Badestrand und der unendlichen Ruhe, zum Nordstrand zu wechseln. Die
Stadt bietet zudem vielfältige Einkaufsmöglichkeiten. Gleichzeitig ist es ein Katzensprung zu menschenleeren Stränden.
Die Innenstadt und den Hafen verbindet eine kleine Inselbahn. In der zweiten Septemberwoche war die Molli von Bad
Doberan auf der Insel zu Gast. Die Lok übernahm für eine Woche die Verbindung von der Stadt zum Hafen. Nicht ganz
ohne Proteste von den Anwohnern, die die Feinstaubbelastung für bedenklich halten. Als Gast der Insel frage ich mich
dann, warum die Inselbewohner nichts gegen den Tourismus zu den Robben unternehmen. Für mich ist es Quälerei an
den Pferden, die auch bei Hitze in den Straßen stehen und auf Fahrgäste warten. Dann ziehen sie die vollen Wagen über
den Strand, um näher an die Robben zu kommen. Später wieder durch die Stadt zum Stellplatz. Das den ganzen Tag
lang. Die Schutzgebiete sind so bemessen, dass man die Robben liegen sehen kann ohne ihnen zu nahe zu kommen.
Die moderne Fototechnik macht dann auch gute Fotos möglich.
Man begibt sich nach Borkum, um auf Borkum Urlaubstage zu verbringen oder, wie in meinem Falle, sich von den Folgen
einer schweren Krankheit zu erholen und den Heilungsprozess zu unterstützen. Es blieb in diesen drei Wochen genug
Zeit, sich den Schönheiten und Besonderheiten der Landschaft zu widmen, aber vor allem auch diese wundervolle Weite
und Stille zu genießen. Genau dieser Eindruck wird mir noch lange im Gedächtnis haften bleiben, davon werde ich
zehren und vielleicht den anderen etwas vorschwärmen.