Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Klippentour:Dreikäseklippe, Arnoldklippe & Trudenstein
04.03.2024
Ein Wetterfrosch hatte mir am Sonntag geflüstert, der Montag würde sonnig und warm werden. Also wurde er sonnig
und warm, schon frühmorgens nach dem Aufstehen. Beim Kaffee trinken denke ich, das sollte ich ausnutzen. Der
Winterspeck fraß an meinem Selbstwertgefühl, die kleine Narbe schien verheilt zu sein und ich hatte richtig Bock auf
Natur. Eine Stunde später stand mein grauer Schimmel auf dem Wanderparkplatz von Drei Annen Hohne. Neunzig
Minuten vor Mittag fällt der Startschuss.
Schnurgerade streckt sich die Waldstrasse, entlang der Hohnewiese, dem Berg entgegen. Zur Hälfte biegt sie zum
Hohnehof, ist wieder schnurgerade. Mir fällt das Gehen schwer, die Gelenke sind steif, als wäre Leim in die Scharniere
geraten. Ich quäle mich am Hohnehof vorbei, folge den Windungen, die unmerklich Meter um Meter an Höhe erobern.
Zur Linken blickt ganz oben die Leistenklippe auf mich herab, zur Rechten haben Wind und Wetter eine weite Sicht in
die Berglandschaft geschlagen. Der Himmel über mir leuchtet blau, irgendwo zwitschern Vögel ihre Lieder. Um diese
Zeit, noch dazu am Montag, bin ich allein unterwegs. Die ganze Natur des Harzes liegt mir hier oben zu Füßen oder
lockt mich, weiter oben erobert zu werden. „Der Lärm der Welt fällt von dir ab“, sang einst Cäsar. Ich fühle mich gerade
frei vom schweigenden Getöse der Informationsgesellschaft und Marktschreier. Ich habe hier meine Ihr-könnt-mich-mal-
Oase gefunden, wandere dem schmalen grünen Waldstreifen da oben entgegen. Das einzige, was mir beim Wandern
manchmal durch den Kopf geht, sind Melodien von früher wie „Norwegian Wood“ oder aus einem anderen Land: „Wand
an Wand“. Hier sehe ich die passenden Bilder dazu. Das ist irre, aber schön.
An der Ranger-Baude biege ich nach rechts ab. Geradeaus steigt ein Weg in die Höhe. Der muss noch auf mich warten.
Erst in zwei Stunden vielleicht, werde ich ihn betreten. Meine Füße tragen mich jetzt geschmeidig dem Waldrand
entgegen. Dort tauche ich in diesen kleinen Rest von Grün ein. Bin jetzt gut eingelaufen. Man kann den markanten Duft
von Fichtennadeln spüren, ihn aufsaugen. Die Luft ist voll davon. So duftete es hier noch vor ein paar Jahren überall,
erinnere ich mich. In den Gedanken versunken, hätte ich beinahe den Abzweig in den Berghang hinein verdöst. Ich will
ja nicht, wie im September des vergangenen Jahres, bis zur Steinernen Renne durchwandern (
HIER
)
.
Mein heutiges
Ziel ist diese Dreikäseklippe und dafür muss ich hier die Waldstrasse verlassen und ins offene Gelände am Hang steigen.
Mit einem Schlag, bzw. nach nur wenigen Schritten, bietet sich mir ein völlig anderes Bild. Der ganze Hang ist über und
über mit Baumstümpfen und großen Steinen übersät. Da mitten hindurch führt der Weg direkt zu einem großen
Gesteinshaufen, an dessen unteren Ende ich die Dreikäseklippe erkenne. Es sieht überall aus, als hätten Riesenkinder
einst hier ein Steinspiel veranstaltet, aufgeräumt hatten sie allerdings nicht. Wie im Zimmer meiner Enkel, nur gigantisch
größer. Die Sonne drückt mit ihren frischen Strahlen auf dieses Durcheinander, durch das sich der Weg zwängt. Ich folge
ihm. Schon wenige Minuten später bin ich dem Steinmonument ganz nahe – imposant – Dreikäseklippe erreicht.
Drei riesige Steinklumpen stehen, aufeinander gestapelt wie drei Stück riesiger Harzer Käse, direkt am Hang. Leicht
nach vorn geneigt, könnte man vielleicht auch eine Steinfigur hinein interpretieren. Die drei Steine entstanden durch die
charakteristische Wollsackverwitterung (blödes Wort, finde ich), die man im Harz auch an anderen Stein- und
Klippenformationen sehen kann. Auch am Trudenstein gibt es diese quaderförmigen Steinbrocken, als wären sie mit
einem Messer geschnitten, zu bestaunen. Die Dreikäseklippe ist nur kleiner, dafür ist der Gesteinhaufen hinter ihr am
Hang, deutlich imposanter. Ich bin total begeistert, glücklich und wirklich stolz, trotz langer Pause und kleiner Blessuren,
wieder gut in Tritt gekommen zu sein. Ziemlich verschwitzt gönne ich mir eine kleine Pause und etwas Zeit, den
herrlichen Blick vom Hang bis weit in die Ebene zu bestaunen. Danach liegt ein Harzstein von mir zu Füßen der
Dreikäseklippe. Als Zeichen, dass ich hier war.
Eigentlich war meine Idee, von hier aus den Weg hinunter zu den Hohnsteinklippen zu gehen. Doch falls es diesen Weg
jemals gegeben haben sollte, liegt er jetzt unter abgeknickten Baumstümpfen und vielen Gesteinsbrocken verborgen.
Da hindurch zu steigen, wäre dumm und gefährlich. Ich entscheide mich, auf meinem Weg zu bleiben und zu schauen,
was hinter der Dreikäseklippe zu sehen ist. Rechts ragen grüne Fichten zwischen kahlen Baumresten in den Himmel,
links wurde der Hang mit Todholz sich selbst überlassen. Eine skurrile Szenerie, durch die ich jetzt weiter bergan gehe.
Alles unberührte Natur, nur diesen Weg hat man beräumt, damit Wanderer wie ich ungefährdet gehen können. Meine
Schritte sind nach der Pause wieder schwer, als es den Weg hinauf geht, dem Himmel entgegen. Da endlich
angekommen, verschlägt es mir den Atem: was für ein Panorama!
Der ganze Hang unter mir ein einziges wildes Durcheinander von Holz und Gestein. Dahinter ragen die Hohnsteinklippen
aus dem Wirrwarr und ich kann noch weitere solcher Steinhaufen überall entdecken. Der mittlere Harz bis Wernigerode
liegt wie auf einer Spielzeuglandkarte ausgebreitet vor mir. Jedes auch noch so kleine Detail ist gut zu erkennen. Ich
spüre ein warmes Glückgefühl in mir aufsteigen. Hinter den abfallenden Bergen leuchten die Dächer und Häuser von
Wernigerode zu mir herauf. Welch faszinierender Anblick! Fast zehn Jahre lebe ich jetzt schon zu Füßen dieser Berge,
aber noch immer haut es mich bei solchen Gelegenheiten um. Es ist grandios! Während ich dem Weg weiter folge, kann
ich meine Augen von den sich unter mir wechselnden Landschaften nicht abwenden. Vieles davon kenne ich, habe ich
per pedes erkundet. Selbst am Ottofelsen, der mit der Spitze hinter Baumspitzen hervor ragt, war ich schon - mit und
ohne Wald. Würden dort unten noch dichte Wälder vorherrschen, man könnte vieles nicht entdecken, was ich jetzt
problemlos sehen kann. Doch das wird wieder, denn überall reckt sich junges Grün in jeglicher Form aus dem Boden,
allen Pessimisten zum Trotz.
Am Ende des Weges, ehe er hinter der nächsten Biegung verschwindet, ragt noch so ein Steinhaufen markant in die
Höhe: die Arnoldklippe. Die zwei-, dreihundert Meter bis dorthin sind schnell geschafft und dann stehe ich vor diesem
Steinklotz. Im vergangenen September sah ich ihn nur von unten und staunte. Jetzt stehe ich direkt davor und staune
wieder. Rechts von mir diese Klippe, geradeaus öffnet sich der Blick über die Kuppen bis zum Brockenplateau, das alles
majestätisch überragt. Ich fühle mich reich beschenkt, diesen Anblick, eine neue Perspektive auf den Brocken, erleben
zu dürfen. Nichts ist selbstverständlich im Leben, denke ich, und möchte mich beinahe dankbar verneigen. Ich setze
mich erst einmal zu Füßen der Klippe, um in Ruhe das Panorama mit dem Berg genießen zu können. Leben ist so schön,
wenn man uns nur leben ließe …
Zeit kann man nicht fassen. Keine Ahnung, wie lange ich saß. Einen Harzstein lasse ich als Gruß hier, dann tragen mich
die Füße den Weg, an den Steinklippen vorbei, wieder zurück. Noch einmal an der Dreikäseklippe anhalten, der
Harzstein liegt noch da. Minuten später wandere ich auf der Waldstrasse Richtung Ranger-Baude. Am Rand des Weges
plätschert Regenwasser der letzten Tage mir entgegen. Vor dem Haus der Ranger stehen eine rustikale Sitzecke sowie
eine Feuerstelle. Hier einen Abend zu verbringen, könnte ich mir gut vorstellen. Doch ich will weiter, links neben der
Baude den Weg auf den nächsten Hang, den ich zwei Stunden zuvor noch unbeachtet ließ. Jetzt möchte ich dort rauf
und ahne, was mir bevor steht.
Ich werde für den deftigen Anstieg eine Viertelstunde brauchen. Alle hundert Schritte mache ich, am Wanderstab
gestützt, Halt, um durchzuatmen. Meine Pumpe rast, das Blut pulsiert, ich schwitze aus allen Poren, also lebe ich.
Diesmal quäle ich mich wirklich. An der nächsten Sitzgruppe angekommen, zittern mir die Knie. Das war’s, denke ich
und lasse mich auf die rustikale Bank gleiten. Jacke aus und lüften. Der Wind ist frisch, die Haare klatschnass, die
Vernunft siegt. Ich zieh’ mich wieder an – Pause. Es ist früher Nachmittag und ich habe noch drei Stunden Parkzeit. Da
ist es noch keine Option, schon wieder abzusteigen. Bis zum Trudenstein ist es nur ein knapper Kilometer - also los.
Zunächst laufe ich locker geradeaus, doch ich weiß, die Steigung wartet auf mich. Auf dieser Klippe stand ich schon
einmal (
HIER
). Von dort ist die Aussicht ebenfalls grandios, allerdings Richtung Süden, also entgegen jener von der
Dreikäseklippe. Das Erlebnis möchte ich mir heute auch noch gönnen. Schon bald stehe ich davor und wieder völlig
außer Puste und durchgeschwitzt sowieso. Für den Aufstieg reichen die Körner noch, zumal eine steile Metalltreppe auf
die Klippe führt. Dann stehe ich auf rund 730 Meter und schaue in die Weite. Inzwischen ist es diesig geworden und der
Turm vom Wurmberg in Dunst gehüllt. Schade, aber so ist es im Harz: das Wetter kann schnell umschlagen.
Als ich wieder auf dem Rückweg vom Trudenstein wandere, ziehen Wolken von Norden auf und Nebel beginnt, die
Höhen zu verstecken. Es geht jetzt drei Kilometer nur abwärts und ganz allmählich spüre ich meinen Rücken. Jeder
Schritt gibt der Hüfte einen kleinen Stups und die summieren sich, machen das Gehen unangenehm. Zur vierten
Nachmittagsstunde erreiche ich die Schranke zum Parkplatz. Die ist unten, aber nicht die Brockenbahn, sondern ein
„Ferkeltaxi“ fährt im Bahnhof Drei Annen Hohne ein.
Reichlich fünf Stunden war ich auf Schusters Rappen und rund zehn Kilometer unterwegs in der Höhe. Nichts gegen ein
geiles Rock-Konzert, davon hatte ich hunderte, aber drei oder vier Stunden vor einer Bühne stehen, ist längst nicht so
befriedigend wie fünf Stunden Wandern im Harz, wenn man reichlich sieben Jahrzehnte auf der Uhr mit sich schleppt
und dennoch: Musik macht mich glücklich, die Berge auch, aber anders, weil nachhaltiger, nicht so flüchtig, wie die
aktuelle Rockszene. Vielleicht aber bin ich auch nur der „Fool On The Hill“ der Beatles, dessen Augen sehen, wie die
Welt sich dreht und die Sonne daher am Horizont untergeht. Eine glückliche Vorstellung für einen Rock-Rentner im Harz
…