Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Inselurlaub auf Poel
5. Mit der Fähre nach Wismar
15.05.2019
Immer dann, wenn ich vor dem Bungalow sitze, Lily hinaus führe oder aus dem Fenster schaue, kann ich drüben auf
dem Festland die Silhouette der Hansestadt Wismar sehen. Dorthin, so unser Gedanke, möchten wir auch für ein paar
Stunden und uns ein wenig umsehen. Am liebsten natürlich mit dieser Fähre vom Hafen in Kirchdorf aus, also
standesgemäß, wie es Inselurlauber, die neugierig sind und etwas erleben möchten, tun sollten. Wir fahren also ins
Inselzentrum und stellen das Gefährt auf dem Parkplatz ab. Im Hafen erleben wir zunächst eine Hochzeitsgesellschaft,
die den Mut hat, zwar bei Sonnenschein, aber auch einer steifen Brise, in luftiger Kleidung zwei Pferdedroschken zu
besteigen und sich zur Zeremonie zu begeben. Wir betrachten das Schauspiel einige Minuten und laufen dann zum
Anleger. Zur Mittagsstunde betreten wir, mit Lily unter dem Arm, Schiffsplanken und sind von nun an dem Können des
Kapitäns anvertraut, der mir später sogar gestatten wird, in sein Heiligtum, den Führerstand, einzutreten, um mich dort
umzuschauen. Wir wählen Plätze auf dem Oberdeck, der besseren Aussicht wegen. Schließlich sind wir nicht hier, um
unter Deck Bier zu trinken. Das Wetter ist angenehm frisch, nicht kalt, und dennoch sind wir oben die einzigen
Passagiere. Ein ganzes Oberdeck, so viele Sitzplätze und nur zwei Hanseln, noch dazu Landratten, die sich trauen und
das Ablegen von der oberen Etage aus miterleben wollen. Mit gedrosselten Motoren bewegt sich die Fähre vorsichtig
durch die Fahrrinne. Links und rechts die roten bzw. grünen Tonnen und unter dem Kiel knapp zwei Meter Wasser. Schiff
ahoi!
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Zu beiden Seiten gleiten ganz unterschiedliche Uferabschnitte vorüber. Mal sind es einsame Gehöfte, mal eine
Baumgruppe und dann wieder die leuchtend gelbe Fläche eines der Rapsfelder. Den Ort, auf dem unser Bungalow sich
befindet, können wir hinter der Kuppe eines Hügels erahnen. Hinter dem Heck werden die Häuser von Kirchdorf, mit der
Hafenanlage, immer kleiner und vor dem Bug wächst die Hafenanlage von Wismar aus dem Dunst. Auf einer Sandbank
entdecken wir Schwäne und auf der anderen Seite ein Boot mit zwei Anglern, die ihr Glück versuchen. Die Route führt
uns an einer kleinen Insel vorüber, die von den Einheimischen Walfisch genannt wird. Selbstbewusst traue ich mich,
beim Kapitän anzuklopfen und der gestattet mir sogar, für einige Minuten seinen Führerstand zu bestaunen.
Der Mann ohne Kapitänsmütze findet auch Muse für ein Gespräch unter Männern zum Thema Segeln. Nebenbei kann
ich gut beobachten, wie Schiffe uns begegnen und wir uns in die Fahrrinne zum Hafen „einfädeln“. Genau an dieser
Stelle überholen wir den Nachbau einer historischen Kogge, deren Reste bei Hafenarbeiten im Schlick gefunden wurden,
erklärt mir der Kapitän. Mit einem Segel voll im Wind kann man den Stolz des alten Kahnes nur erahnen, aber bekommt
auch eine Vorstellung davon, was christliche Seefahrt einst für eine Herausforderung für Mannschaft und Schiffe
gewesen sein musste. Wir lassen das Teil lebendiger Geschichte, mit dem prächtig anzusehenden Segel, am Heck hinter
uns und laufen in den Hafen von Wismar, vorbei an Krananlagen und am Pier liegenden Containerschiffen, ein. Im alten
historischen Teil des Hafens legen wir schließlich an und werden festgezurrt. Erst dann dürfen wir wieder an Land: Wir
sind in der alten Hansestadt Wismar.
Direkt am Anleger hat die moderne Zivilgesellschaft eine Shopping-Meile platziert. Kleine Läden und eine Boutique an
der nächsten. Gleich drei Kiosk-Kähne versuchen, den Ankommenden und auch den Stadttouristen eines ihrer
Fischbrötchen mit Matjes, Seelachs, Brathering oder Heilbutt zu verkaufen. Doch von Fischbrötchen haben wir gerade
genug. Mir stehen Sinn und Geschmack eher nach etwas Herzhaften. In der zweiten Reihe locken verschiedene
Gastlichkeiten mit weniger Trubel und anderer Speisekarte. Hier finden wir ein windgeschütztes Fleckchen für uns mit
Lily. Minuten später stehen je eine Portion mit Sauerfleisch und eine „Inge-Gedächtnis“-Scholle vor uns. Lily bekommt
davon, völlig „unbemerkt“ von anderen Gästen an den Nachbartischen, natürlich ein paar Häppchen ab. Sie ist ein
Familienmitglied, gehört also zu uns und kleine Kinder füttert man ja schließlich auch „ungeniert“ am Tisch. Für mich
gehört beides zum normalen Leben. Punkt.
Es ist Zeit für einen kleinen Bummel durch die angrenzenden Gassen und über die Plätze. Es gibt viele sehr originelle
Lokalitäten, von einer „Metal-Bar“ bis zur „Volkskammer“, zu entdecken. Zwar bin ich nicht dafür gemacht, stundenlang
durch Straßen, Museen, Shops und Kramläden zu pilgern, aber falls es einmal etwas Ausgefallenes und Interessantes zu
bestaunen geben sollte, kann auch ich mich nicht verweigern. Plötzlich entdecken wir auf der anderen Straßenseite
eines dieser speziellen Schaufenster: „Verein der Schallplattenfreunde“ steht darüber geschrieben. Ich kann es kaum
glauben, dass ich hier einen kleinen Laden für die Freunde des „schwarzen Goldes“ betrete. Im Innern werde ich von
einem freundlichen Menschen aufgeklärt, dass sich hier Schallplattenliebhaber ganz zwanglos, zwei oder drei Mal in der
Woche, treffen. Das wäre auch eine Chance für mich, denke ich, aber dafür von Halberstadt bis Wismar fahren –
schade! Wir fachsimpeln ein paar Minuten und dann gehe ich wieder, ohne in den Platten gewühlt zu haben und auch
etwas enttäuscht, ein solch schönes Angebot nicht in meiner Nähe zu haben.
Wenige Schritte weiter erreichen wir einen Platz, in den viele Straßen sowie eine Fußgängerzone mit einer
Ladenpassage münden. Shoppen ist heute, Lily sei Dank, gestrichen, jedoch in einer der vielen Nebenstraßen entdecken
wir einen Kramladen, den wir wenigstens besichtigen müssen. So viel völlig unnützen orientalischen Krimskrams auf
einem Fleck habe ich noch nie gesehen. Eine kunterbunte Jacke hat es mir angetan, sie aber anzuziehen, würde ich
mich doch nicht trauen, bin ich mir sicher. Draußen folgen wir dem Lauf eines Baches, der eine Gasse der Länge nach
teilt und zu der Kirche St. Nikolai führt. Was für ein gewaltiges und schönes altes Gotteshaus! Hätten wir etwas mehr
Zeit und würde keine Fähre, die wir für den Rückweg brauchen, im Hafen warten, hier möchte ich gern einmal
hineinschauen. Wie um mich zu besänftigen, beobachte ich, wie eine Reisegruppe die Tür zum Turm verlässt, die
danach von außen für weitere Besucher verschlossen wird. Glück und Pech zugleich.
Langsam schlendern wir wieder Richtung Anleger, wo wir das Treiben und die Möwen, die auf einen Happen warten,
beobachten. In einem Eimer vor einer Boutique flattert, neben vielen anderen, eine Fahne der DDR. Da muss ich
lächeln, denn da flattert die erste Hälfte meines Lebens direkt auf dem Kai von Wismar. Die möchte ich nicht zurück
haben, andererseits gehört sie nun aber mal zu mir und deshalb lasse ich es mir weder nehmen, noch ausschließlich
schlecht reden - Diktatur hin oder her. Im Laden daneben wühle ich und verlasse ihn mit einer neuen Kappe. Diese
Fahne soll sich ein anderer mitnehmen. Statt ihr trage ich lieber meine Erinnerungen und die im Kopf.
Wieder auf dem Oberdeck der Fähre, sehen wir beim Auslaufen vom Heck den alten Hafen. Diesmal mit etwas anderen
Augen. Es war für drei Stunden schön hier, aber der Flecken Insel, mit all seiner Natur und den Stränden, ist uns doch
lieber. Eine Möwe begleitet uns noch für eine Weile und am Horizont, hinter dem Küstenstreifen, trübt sich der Himmel
langsam ein. Es ist frisch geworden und der Wind ist kalt. Im Windschatten des Führerstandes lässt es sich gut
aushalten. Lily liegt nun fest eingekuschelt in den Armen ihres Frauchens, hat die Augen geschlossen und atmet ganz
entspannt. Unsere Hundelady ist kaputt und pennt. Morgen soll es regnen.
Fortsetzung folgt im Teil 6 -
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