Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Der Klang der Sturmglocke - POND im Konzert
06.12.1978
POND – das klingt kraftvoll und voller Energie. Jedenfalls ging es mir damals so, als ich das erste Mal von dem Projekt
hörte bzw. las. Das klang nicht nur nach einer neuen Combo, Formation oder Band, sondern auch nach einer gewagten
Idee, wenn man sich die Besetzung vor Augen führte: Schlagzeug plus zwei Keyboarder. Etwas Vergleichbares war mir
bis dahin nur international mit dem Duo Hardin & York, der „Welt kleinste Big Band“, bekannt, deren musikalische
Ambitionen aber eher in Richtung von Jazz & Rock gingen.
Die drei Berliner Wolfgang „Paule“ Fuchs, Manfred „Manne“ Henning und Frank Gursch hatten bisher Erfahrungen in
diversen anderen Bands (Joco-Dev, Babylon) gesammelt. Mit POND wollten sie neue, und vor allem eigene Wege
beschreiten. Ganz zu Beginn noch als Duo, dann jedoch mit Frank Gursch als Trio. Den Dreien schwebte zunächst eine
am Art-Rock orientierte, kraftvolle Musizierweise vor.
Es ist der 6. Dezember 1978, Nikolaustag, Geburtstag meines Vaters, und beide Ereignisse liegen, als ich diese Zeilen
schreibe, genau 31 Jahre zurück in der Vergangenheit. Im Gesellschaftshaus Hoppenz Elsterwerda ist es arschkalt und
Achim, die gute Seele der alten Hütte, versucht dem mit haufenweise Briketts entgegen zu wirken, während Conny
(eigentlich Konrad), der Wirt und Betreiber, wieder mal einen auf Hektik macht. Dabei geht trotz der Kälte alles ziemlich
ruhig und gelassen seinen ganz und gar normalen (sozialistischen) Gang.
Aus Berlin ist POND angereist. Die beiden Techniker und die drei Musiker bauen auf den knorrigen Bühnenbrettern ihre
Technik und die Instrumente auf. Paule’s Schlagzeug hatte vor ihm Gunther Wosylus von den PUHDYS bearbeitet. Das
ganze Set sowie ein Gong brauchten viel Platz in der Bühnenmitte. Links und rechts am vorderen Bühnenrand standen
die Tasten für Manne und Frank. Vor allem die schwere Hammond-Orgel musste bei dieser Kälte erst mal in Gang
gebracht werden. Auf die Instrumente hatten wir, passend zum Anlass, jeweils eine Kerze und einen Nikolausstiefel
gestellt. Natürlich gefüllt, was sonst! Der Bühnenaufbau, mit den Tasten zu beiden Seiten und dem wuchtigen Drum-Set
in der Mitte, bot einen ganz besonderen Anblick.
Das Konzert begann pünktlich und die Herren Fuchs, Hennig und Gursch ließen ein Klang-Gewitter über den alten Saal
des Gesellschaftshauses hereinbrechen. Das erste Stück war wohl „Was wird sein“ und gab eine Vorstellung davon,
welch faszinierende Musik nur mit Tasten und Drums machbar ist, wie filigran einerseits und wuchtig in anderen
Passagen Art-Rock in so einer Minimalbesetzung klingen konnte.
POND spielte im damaligen Konzertprogramm eine dreiteilige Rock-Suite, die schon im frühen Stadium der Band
erahnen ließ, in welche Richtung sie sich später entwickeln, wie einmalig im Konzertalltag der DDR so ein Konzept sein
würde. Im ersten Satz „Baumgeflüster“, einem reinen Instrumentalpart, waren die elektronisch vielfältigen
Ausdrucksmöglichkeiten, Effekte und Geräusche, die mit einem solchen Tastenarsenal machbar sind, die tragende und
gestalterische Idee. Als besonders reizvoll empfand ich das Zusammenspiel von Synthesizer und Hammondorgel, die
weichen Akkordmalereien einerseits und die verspielten melodischen Läufe und Improvisationen auf der anderen Seite.
Im zweiten Satz „Tritonos“ erlebten wir ein furioses Zusammenspiel der Tasten mit dem Schlagzeug, in dem jeder der
beiden Tastenvirtuosen auch die Möglichkeit nutzte, sich mit seinem Instrument solistisch darzustellen. Ein solcher
solistischer Höhepunkt war für mich jener Moment, als Frank Gursch aus den Tasten der Hammond-Orgel die „Toccate
und Fuge d-moll“ von J.S. Bach zauberte und krachend in den kleinen Saal schmetterte.
Mit der damals gehörten Version des dritten Satzes namens „Sturmglocke“ fegte die aufkommende Sturmflut hörbar
über die Bühne und Wolfgang„Paule“ Fuchs bearbeitete den Gong und damit die „Sturm“Glocke darüber, dass es eine
wahre Freude war, dem Geschehen auf der Bühne zu folgen. Diese Fassung, gespielt von Schlagzeug und zwei
Keyboardern, ist, zumindest in meiner Erinnerung, der absolute Höhepunkt des Abends gewesen. Das wuchtige
Schlagwerk trieb die Keyboardklänge, die Melodieschleifen und Akkorde der Tasten förmlich vor sich her, den Sturm und
die Wucht der Wellen nachempfindend, um dann schwächer werdend, im hellen Klang der Glocke zu münden. Aus
wuchtig grollendem Zusammenspiel aller Instrumente wurde ein filigraner und klarer Glockenklang. Die ließ „Paule“
übrigens für die Live-Präsentation dieses Werkes extra gießen, damit der Klang auch tatsächlich in voller Harmonie zur
Komposition und zum Gesamtausdruck der Suite passte.
Die rein elektronische LP-Fassung der „Sturmglocke“, die Amiga 1984 auf der LP „Planetenwind“ veröffentlichte, kann da
nach meinem ganz persönlichen Empfinden leider nicht annähernd mithalten. Schade, dass das Originalband eines Live-
Mitschnitts der Rock-Suite mit der „Sturmglocke“ als Höhepunkt irgendwo in den Rundfunkarchiven schlummert. Dieses
Schicksal teilt sie sicher mit vielen anderen Kompositionen und Mitschnitten, die damals in den Rundfunkstudios
entstanden und nur noch selten „entdeckt“ werden, so wie erst kürzlich die Aufnahmen zu „Savannah“ der Hansi Biebl
Band.
Natürlich boten sich bei dieser Besetzung internationale Rock-Klassiker, deren Sound vor allem von den
unterschiedlichsten Tasteninstrumenten geprägt sind, förmlich zum Nachspielen an. Ein solcher echter Klassiker ist ohne
Zweifel bis heute Leonard Bernstein’s „America“ aus der „West-Side Story“, einst von Keith Emerson mit den NICE zu
einem frühen Welthit des Genres gemacht. Mit den beiden Tastenspezialisten kam die Live-Version von POND dem
Original verdammt nah. Ein weiteres Stück im Konzert von POND war Procol Harum’s „A Whiter Shade Of Pale“, das
ganz besonders von der Melodieführung durch die Hammond-Orgel, synchron zum Gesang und im Gleichklang mit dem
Piano, getragen wird. Gesungen hat bei POND damals Manne Hennig, auch wenn natürlich das Timbre und die
Faszination eines Gary Brooker unerreichbar bleiben mussten. Dem Zauber dieses Songs, zumal live gespielt, kann man
trotzdem immer wieder neu erliegen.
An einem Klassiker haben sich, so glaube ich, fast alle Tastenspezialisten versucht, wenn auch mit unterschiedlichen
Ergebnissen. Die Engländer Emerson, Lake & Palmer spielten sie live und der Japaner Isao Tomita produzierte die
„Pictures At An Exhibition“ von Modest Mussorgski als rein elektronische Variante. Auch POND versuchten sich schon
sehr frühzeitig an den „Bildern“ und gaben im Konzert 1977 eine Probe davon, wie der Betrachter mittels „Promenade“
von Bild zu Bild wandelt, um sich von „The Gnome“ oder von „The Hut Of Baba Yaga“ nach den Klängen der Band ein
eigenes Bild im Kopf zu malen. Darin besteht wohl auch immer wieder neu der Reiz des ganzen Werkes, gleich in
welcher Bearbeitung es gespielt wurde und wird. Erst viele Jahre später sollte PAULE-POND dieses Werk elektronisch
komplett neu bearbeiten und einspielen.
Der Abend mit POND ist mir aus mindestens zwei Gründen in besonderer Erinnerung. Zum einen, weil dieser Abend ein
klassisch winterlich kalter und zum anderen, weil mit den Musikern von POND auch in so schwierigen Momenten ein
unkompliziertes Auskommen und Miteinander möglich war. Dass daraus eine Freundschaft mit Paule werden sollte, war
damals noch nicht absehbar. Mehr als 30 Jahre danach - ich hatte in den Nachwendejahren endlich wieder zur Live-
Musik und zum Konzertalltag gefunden - haben wir uns beim 30. Bandjubiläum von POND als Duo, Wolfgang „Paule“
Fuchs und Harald Wittkowski, in der Ulrichskirche von Halle wieder getroffen. Zu erleben, dass die Freude darüber nicht
nur bei mir groß war, ist etwas, das in diesem Business inzwischen wieder häufiger anzutreffen ist. So mache
Freundschaft zwischen Musiker und Fan hält auch über lange und schwierige Zeiten.
Manne Henning hat noch zu DDR-Zeiten seinen Weg über ELEFANT zur Kultuband CITY gefunden und vervollständigt
seither die Herrenriege ohne Haare. Frank Gursch trat letztmalig mit LIFT und deren 1987er LP „Nach Hause“ in’s
Rampenlicht. Inzwischen hat er sich beruflich wohl völlig von den Tasten verabschiedet und soll, so sagt man, in
altbundesländlichen Gefilden Steuertabellen und Kundenzahlen bewerten – wie schade! Paule werde ich allerspätestens
dann wiedersehen, wenn er mit Tasten und großem Orchester seinen neusten Geniestreich, die „Bilder einer Vernissage“
nach Werken von Willi Sitte, live zu Gehör bringen wird. Dann werden zwei „alte Säcke auf mehr als drei turbulente
Jahrzehnte zurückblicken können. Die Zeit vergeht tatsächlich fast wie so ein „Planetenwind“, mit dem der Klang der
„Sturmglocke“. Aber die Erinnerungen an vergangene unwiederbringliche Erlebnisse vor Jahrzehnten gehen darin nicht
verloren, sie vervielfältigen sich beim Lesen und Erzählen.