Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
LIFT - Rock und Balladen im Konzert
26.10.1977
Meinem frühen Geburt (Jahrgang 1949) geschuldet, war es mir vergönnt, viele der heutigen Ostrock-Größen schon zu
einer Zeit beim Tanz oder im Konzert live zu erleben, als die Eltern mancher Fans gerade begannen, sich füreinander zu
interessieren oder sich möglicherweise noch nicht einmal kannten. So dicht liegen „Vor- und Nachteile“ manchmal
beieinander!
Das Konzert, um das es hier geht, fand im Oktober 1977 im Gesellschaftshaus (Hoppenz) Elsterwerda statt. Das hatte
ich damals, gemeinsam mit Freunden vom extra dafür gegründeten Jugendklub, organisiert. Mir schwebte eine Art
Konzertreihe im Abonnement vor, über der eine inhaltliche Idee stand: KLASSIK, ROCK & ADAPTIONEN. Im Oktober
hatten wir also LIFT auf dem Plan, einen Monat später dann ELECTRA, beide aus Dresden, und als krönenden Abschluss
sollte im Dezember BAYON aus Weimar ein Konzert geben. Für dieses Dreierpaket hatten wir, vorbei an gesetzlichen
Regelungen, extra eine Anrechtskarte drucken lassen, um die hässlichen Karten von der Rolle nicht benutzen zu
müssen. Uns lag daran, so etwas wie Stil zu entwickeln.
Der W50 von LIFT fuhr nachmittags am Bühneneingang vor. Nach und nach fanden sich auch die Musiker ein.
Bandleader und Bassist Gerhard Zachar und Sänger Henry Pacholski sind mir als ruhige und bescheidene Kumpels in
Erinnerung geblieben. Ebenso Till Patzer, ein Musikant mit Haut und Haaren an Saxophon und Flöte, von Beginn an
dabei. Wolfgang Scheffler an den Tasten schien mir in seiner Musik total versunken und ein Perfektionist zu sein,
während Michael Heubach, ebenfalls an den tasten, schon mal einen flotten Spruch auf den Lippen hatte. Werther
Lohse, der Schlagzeuger und ebenfalls Sänger, sowie die Techniker gaben sich wie Kumpels von nebenan. Entsprechend
angenehm war der Umgang vor und nach dem Konzert, eines von denen, das ich von Beginn an sehr entspannt
genießen konnte.
LIFT spielte schon damals fast ausschließlich eigenes Songs und Kompositionen. Natürlich erklangen auch die heute
noch berühmten Gänsehaut-Balladen wie „Jeden Abend“, „Komm her „ und „Abendstunde, stille Stunde“. Die beiden
Keyboard-Spezialisten Heubach und Scheffler glänzten allerdings auch mit eigenen Bearbeitungen von Rick Wakeman’s
„Six Wives Of Henry VIII.“, eine Platte, die damals unter Fans Kultstatus innehatte. Es war erstaunlich, mit welcher
Perfektion die beiden Keyboarder „Jane Seymour / Anne Boleyn“ aus den Tasten von Orgel, e-Piano, Mellotron und
Synthesizer zauberten, so dass die Fans im Saal tobten.
Etwa in der Konzertmitte kündigte Zachar ein eigenes 16-Minuten-Opus an, das damals noch keinen Namen hatte und
später der zweiten Amiga-LP „Meeresfahrt“ den Namen geben sollte. Diese Live-Fassung, die wir damals zu hören
bekamen, wurde, im Unterschied zur späteren LP-Version, von Henry Pacholski gesungen. Zumindest ist das meine
Erinnerung. Ungemein kräftig und ausdrucksstark, so ist mir Hemry’s Interpretation im Gedächtnis haften geblieben.
Auch ein knappes Jahr später, während der Tour durch Polen, sang Henry Pacholski die „Meeresfahrt“, als Geste an die
Gastgeber sogar in polnischer Sprache. Einen Mitschnitt von diesem Ereignis hat damals auch DT64 gesendet. Das
Originalband lagert sicher unantastbar(?) in einem der Archive des Rundfunks. Bis heute ist mir unverständlich
geblieben, warum dieses Kleinod nie veröffentlicht wurde. Allerdings existiert eine Kopie, die unter Musikern und Fans
im Umlauf ist. Noch Fragen?
Die Band spielte sich während des Konzerts die Seele aus dem Leib. Micha Heubach und „Scheffi“ brillierten an den
Tasten und hatten sichtlich Freude daran, während ein von sanft bis entfesselt singender Pacholski dieser Bandseele ein
Gesicht geben konnte. Die von ihm gesungenen Stücke empfand ich als Perlen des Abends: „Und es schuf der Mensch
die Erde“, „Jeden Abend“. Einer der großen Momente war die neue Live-Version von Heubach’s „Tagesreise“, die er für
die Bürkholz Formation komponiert hatte, mit der Horst-Krüger-Band den Weg auf’s Vinyl fand und nun durch LIFT zu
neuen und kraftvollen Ehren kam.
Die beiden unterschiedlichen Sänger, Pacholski und Lohse, machten e i n e Besonderheit von LIFT aus. Die Band stand
damals ohne Zweifel vor ihrem absoluten Höhepunkt und in einem Guß auf der Bühne. Ich weiß noch, als wäre es
gestern gewesen, ganz zum Schluß gab uns Werther Lohse den Gary Brooker und schickte uns mit den Klängen von „A
Whiter Shade Of Pale“ nach Hause. Ein unvergesslicher Konzertabend ging vor Jahrzehnten zu Ende. Das komplette
Konzert hat damals mein „Russischer Freund“ (Tonbandgerät Jupiter) mitgeschnitten. Jahre später bin ich umgezogen
und dieser Mitschnitt blieb leider auf der Strecke. Manchmal trennt man sich auch vom falschen „Kram“.
Im Jahre 1978 wurde die LP „Meeresfahrt“ veröffentlicht. Auf ihrer Tour durch Polen verunglückten Henry Pacholski und
Gerhard Zachar im November bei einem Autounfall tödlich. Danach war die Zeitrechnung für LIFT eine andere.