Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
                                      Ich bin der  RockRentner im Harz
          und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
REFORM – die Twin-Guitars der DDR live 1978                                                            31.05.1978 Manche Dinge macht man nicht, die passieren einem einfach, ohne dass man sie wirklich will. Erst hinterher merkst man, das war genau das richtige Ding zur rechten Zeit. Die Vorhersehung hätte das Missgeschick, so wie es entstand, auch nicht besser hinbekommen. Mir ist so ein „Missgeschick“ am 31. Mai 1978 passiert. Schon einige Tage vorher war mir mulmig zumute, weil ich keine Vorstellung davon hatte, wie die Technik der STERN COMBO MEISSEN, die im Gesellschaftshaus Elsterwerda ein Konzert geben sollte, in dem alten Haus, und vor allem auf der kleinen Bühne, untergebracht werden könnte. Immerhin sollte schon damals im Saal ein quadrophones Soundbild entstehen. In diese Überlegungen hinein bekam ich kurz vor dem Termin einen Anruf von Detlef Seidel mit der Nachricht, dass die Combo wegen einer Auslandsverpflichtung leider nicht kommen könne und dass REFORM diesen Termin bei uns wahrnehmen würde. Na Klasse! Die gedruckten (!) Eintrittskarten waren alle verkauft und wir hatten keine Chance mehr, etwas zu ändern. Also ließen wir in den nächsten Tagen das Konzert mit Reform einfach auf uns zukommen. Uns war natürlich sofort klar, dass diese Band nicht einfach so ein Ersatz darstellte. In unserer Planung war Reform sowieso eine feste Größe. Letztlich überwog die Freude auf ein Konzert, das wir ohnehin schon bald machen wollten und wir waren irgendwo auch froh, kein technisches Problem mehr zu haben. Nach der Fusion-Tour der Stern Combo Meissen und der Klosterbrüder rotierte 1975 in beiden Bands das Musikantenkarussell. Den Klosterbrüdern blieb nach dem Weggang von Lothar Kramer zu den Sternen nur eine Neuorientierung, in dessen Zuge sich Jörg „Matze“ Blankenburg entschloss, sein eigenes Projekt zu starten. Ihm schwebte mit der neuen Band ein Sound irgendwo zwischen Gentle Giant, Genesis und von Wishbone Ash, basierend auf zwei gleichwertigen Leadgitarren, vor. Als „Gitarristen-Zwilling“ konnte er Werner „Der Lange“ Kunze gewinnen, der die Stern Combo wegen deren Neuausrichtung auf die Tasten verlassen musste. Die Musikerkollegen Peter Piele an den Drums sowie Mike Demnitz, der „Bass-Bomber“, bildeten das rhythmische Fundament der neuen Band. Die rauchige Stimme des Sängers Frank Schönfeld sowie sein Hang zu theatralen Akzenten schienen für dieses Konzept besonders geeignet. Doch erst, als Stephan Trepte, von Electra kommend, das Mikrofon bei LIFT stehen ließ und zu Reform wechselte, prägte sich zunehmend ein eigenes Klangbild mit deutscher Rocklyrik heraus. Diese Band befand sich gerade im Zenit und mit Trepte hatte sie den zu jener Zeit wohl besten Rock-Shouter des Landes in ihrer Mitte, der von Lift seinen schöpferischen Drang, Neues auszuprobieren, mitbrachte. Er war das optische Aushängeschild und die Verkörperung von Rock’n’Roll in einer charismatischen Person. Entsprechend stürmisch und brachial konnte die Band in Konzerten wirken und genau dieser Ruf und das Bandmotto „Wir setzen eine neue Norm – REFORM“ ließen die Fans in die Konzerte strömen. Nicht zu unrecht, denn die Band verausgabte sich meist von Beginn an. Am Piano sitzend sang Stephan Trepte seine Balladen wie „Nebel“ oder „Ich suche dich“ und nahm jeden mit auf eine Reise der Emotionen, der sich auf seinen, auch in leisen Tönen, ausdrucksstarken Gesang, einließ. Am Mikrofon stehend donnerte er dann sein „Hey, Schwester küß’ mich“ und dieses „gut, gut, gut“ in den Saal. Dabei agierte er mit dem Mikro-Ständer so, dass jeder auch sehen konnte, wie er das meinte. Die beiden Gitarren vom „Langen“ und „Matze“ in hinteren Bereich der Bühne nahmen dieses Spiel auf, sie führten es solistisch weiter, um letztendlich in einem furiosen gemeinsamen Miteinander einen exzellenten Höhepunkt zu setzen. Ich habe seither nie wieder zwei deutsche Gitarren so harmonisch und aus einem Guss, auch schwierige und außergewöhnliche Läufe spielend, live erlebt. Der lebendige Vergleich zum Vorbild Wishbone Ash war mir damals leider nicht vergönnt. Dafür durfte ich erleben, wie Reform das legendäre „F*U*B*B“ mit der markanten Bassfigur von eben dieser Band auf die Bühne gezaubert hat. Wahrscheinlich war es sogar ein Lieblingsstück von Mike Demnitz, der seinen Bass dabei regelrecht traktieren und wild attackieren konnte, um sich dann meist in ein großartiges Solo zu steigern. Die Nummer mit dem Bierglas wird den meisten aus jenen Tagen sicher noch in Erinnerung sein. Die 70er Jahre waren die Zeit der überlangen Rock-Werke. „Feuerball“, von Werner Kunze geschrieben, ist so ein Stück, das sich über gut 10 Minuten erstreckt, lange Spannungsbögen aufbaut und auf diese Weise auch die Klasse einer Band wie Reform demonstrieren konnte. Es lebt von der Dramaturgie der Zwillingsgitarren und den gefühlvoll weichen Keyboardkaskaden. Kein Konzert ging ohne die Reminiszenz an Genesis über die Bühne. Kaum ein Song der Engländer komprimiert deren Anliegen so intensiv wie „Musical Box“. Reform wurde diesem Anliegen live souverän gerecht. Stephan Strepte erzählte die surrealistische Fabel, als wäre sie seine eigene Kreation, wie etwa das spätere „Löwenzahn“ auch, das er in ebenso intensiver Art zu gestalten vermochte. Die Fans verstanden die Botschaft wohl, die zwischen den Zeilen versteckt ist. Diese Musik live zu erleben, war eine Seite der Begeisterung, sich mit den Inhalten und Aussagen zu identifizieren eine andere, beinahe noch wichtigere. Nach dem Konzert saßen wir noch gemeinsam auf der alten schwarzen Ledercouch und den Sesseln in der Garderobe hinter der Bühne zusammen. Es waren Momente und Eindrücke, die ich bis heute, aus welchem Grund auch immer, nicht vergessen kann. Sogar das gute alte Watzdorfer kann ich noch schmecken, wenn die Erinnerungen kommen. Schade nur, dass vieles oft unbewusst und spontan geschah, aber vielleicht lag gerade darin der eigentliche Reiz, sich nicht über alles Gedanken zu machen. Das ist auch einer der großen Unterschiede zu den Nachwendejahren, der sich für mich nie wieder egalisiert hat – leider.  In der Besetzung Blankenburg, Kunze, Trepte, Demnitz & Piehle repräsentierte Reform für einige Zeit das Maximum des Möglichen, sowohl textlich als auch musikalisch, in den engen Grenzen „kulturpolitischer“ Vorgaben. Trepte verstand Reform als seine musikalische Heimat und so brachte er sich auch ein. Auf der Bühne blühte er auf, wirkte explosiv, wild, lasziv und für die weiblichen Fans sicher auch sexy. Wie manche andere Ikone jener Jahre in der DDR lebte er das auch aus. Er ist sicher bis heute einer der wenigen, die es verstehen, eigene Emotionen und Befindlichkeiten in die Sprache aller zu übersetzen und auf der Bühne lebendig werden zu lassen. Gruppen wie Reform sind leider Geschichte und Musikern wie Frank Schönfeld gelang nie der „ganz große Wurf“. Vergessen aber sind weder die Bands, noch die Musiker und schon gar nicht deren Musik. Auch wenn die Tondokumente jener Jahre überschaubar und so manche Raritäten irgendwo verschwunden sind, viele haben diese Zeit aktiv gelebt wie ich und können bzw. wollen sich erinnern, um nacherlebbar zu machen, woher dieses Phänomen „Ostrock“ gekrochen kommt.   Der Zufall wollte es auch, dass ich gemeinsam mit Werner Kunze 1969 einige Monate in einem Berliner NVA-Regiment verbringen musste. Wir sprachen oft über unsere Musik, ich sah ihn später bei Konzerten und hab’ durch den REFORM- Abend mit ihm und der Band ein paar unvergessliche Stunden erleben dürfen. 2009 im Februar trafen wir uns bei einem runden Musikantengeburtstag in Berlin Grünau wieder. Da lagen mehr als 30 Jahre zwischen all dem und dennoch war alles plötzlich wieder lebendig. Gleiches durfte ich bei 45 Jahre Stern Combo Meissen erleben, als ich „Matze“ die Fotos zeigte, die damals beim Reform-Gig in Elsterwerda  entstanden. Plötzlich sind all die Jahre einfach unwichtig. Was zählt, ist das gemeinsam erlebte und die gleiche Art der Rückbesinnung, ohne Wehmut, aber mit Freude und Dankbarkeit, diese wilde und unwiederbringliche Zeit gemeinsam erlebt und gelebt zu haben. Ich denke, schöneres kann einem Musiker und einem Musikliebhaber nicht geschehen.