Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Die Randgruppencombo - letztes Konzert (im Geyserhaus)
20.08.2022
(Die Randgruppencombo spielt zum allerletzten Mal die Lieder von Gerhard Gundermann.)
Dezember 2007 in Berlin, im Fritz Club. Heute weiß ich nicht mehr, wer von der Randgruppencombo, die Gundermann-
Lieder so wahnsinnig gut spielen sollte, derart geschwärmt hatte, dass mir gar nichts weiter blieb, als mit dieser
„verrückten“ Truppe nach Berlin zu fahren, um die Randgruppencombo zu sehen. Wessis und Gundermann? Wie sollte
das gehen, dachte ich, aber ich war neugierig geworden. Also stand ich, wie viele andere auch, mitten in dieser riesigen
Fan-Menge und sogar verdammt weit vorn. Stunden später im Foyer konnte ich nicht glauben, was ich gerade erlebt
hatte. Ich war schlicht fassungslos, aber immer noch frisch genug, um mir das Ticket von den Musikern signieren zu
lassen. Heute, fünfzehn Jahre und einige Konzerte mit der RGC später, besitze ich dieses Kleinod immer noch. Im
Unterschied zu damals, warte ich heute vor dem Geyerhaus in Leipzig auf Einlass. Es wird mein letztes Konzert mit den
Musikern der Randgruppencombo sein. Es heißt Abschied nehmen und feiern. Deshalb rein in die Arena und Eintauchen
in das wogende Liedermeer des Gerhard Gundermann!
Wir entern die Arena zu fünft und zuerst. Nach uns strömen die Massen und ein paar Minuten später auch der Regen.
Ein Gruß von Gundi, wird Heiner später der angereisten Ossi- und Wessi-Gemeinde erläutern. Das wäre schon öfter so
gewesen, zumal bei einer Abschiedstour. Die kleine Park-Arena ist dennoch knackevoll und die Stimmung großartig,
auch, weil der graue Himmel seine Schleusen wieder schließt, als die Zeiger gegen Sieben rücken. Dank einer lieben
Freundin aus dem Schwäbischen, darf ich vor dem Intro noch den Gundi-Magier treffen, ihn sprechen und mit einer
kleinen Signatur bin ich wieder auf meiner Startposition in der Menge zurück. Jetzt kann’s losgehen, ich will „Engel über
dem Revier“ schweben sowie Wunderkerzen sehen und eine „kleine Traurigkeit“ spüren
Man hätte es ahnen können. Die ersten Liedzeilen des Abends sind diesen Gefühlen gewidmet: „Also füttern wir die
Hungerherzen mit Liedern und dem Licht von Wunderkerzen“. Garniert mit dem Klang von satten Bläsern und einem a-
capella vorgetragenen Refrain, treffen die „Hungerherzen“ mich direkt im Bauch und Heiner begrüßt die ostdeutsche
Guni-Gemeinde: „Hallo, liebe Ossis!“ Das Heimspiel mit Liedern, die Mut machen, hat begonnen, denn „aus schwarzen
Schafen werden weiße Schwäne“, heißt es in „Es kommt der Tag“ und „willst du reich sein, dann liebe dir ein Kind“ im
nächsten Lied. Es hält mich nicht auf meinem feuchten Sitzplatz, denn vorn kann ich diese Energie spüren und beim
Singen etwas zurück auf die Bühnen geben. Die nassen Klamotten sind vergessen, dafür fallen mir die Texte wieder ein.
Vor der Bühne ist genug Platz für alle Tanzwütigen, die den auch ausgiebig nutzen. Was für ein Wackeln und Hopsen zu
Melodien eines Baggerfahrers!
Diese Party läuft so, wie es Gundi sicher gefallen hätte. Neun Musiker auf einer Bühne, ihr Frontmann Heiner Kondschak
in der Mitte auf einem Barhocker sitzend und gefühlt fünf Duzend Instrumente, die heute noch benutzt werden. Da fällt
es schon auf, wenn für eine kleine Melodie nur Violine und Gitarre zu Heiners charismatischer Stimme erklingen. „Linda“
verwandelt die Arena in eine intime Atmosphäre mit glühenden Herzen und dem Bild vom Gundi, der seine Tochter in
die Arme nimmt, wie uns Heiner erzählt. Was ist Bob Dylan schon im Vergleich zum eigenen Kind! Da denke ich auch an
unsere beiden Sprösslinge und die wunderbaren Zeiten ihrer Kindheit. Das Beste, was wir machen, sind Kinder. Sie sind
die Zukunft.
Bei jedem Konzert der Tübinger habe ich ein Deja Vu. Heute wieder, wenn diese Grechuta-Melodie als „Männer und
Frauen“ angestimmt wird. Jedes Mal ertappe ich mich dabei, bei den Varianten zwischen den Zeilen zu switchen und
„wichtig sind Tage, die unbekannt sind, die sind wichtig“ zu singen – aber dann wieder von Gundi bei „von jedem Tag
will ich was haben, das ich nicht vergesse“ zu landen. Das ist für mich wie Magie des Augenblicks, der mir sagt, das
Leben sinnvoll zu nutzen. Ein wuchtiger Chor von den Rängen verstärkt das Gefühl und dann sind sie wieder da, mein
Kloß im Hals und die kleinen aufgestellten Härchen überall. Was für ein wundervolles Gefühl inmitten dieser
Gemeinschaft. Gerade noch sangen alle inbrünstig mit und plötzlich ist vor der Rampe wieder der Teufel los.
Es wird getanzt, es wird gesprungen und ich bewege mich mittendrin, um zwischen „Wenn ich wär“ und „Hier bin ich
geborn“ etwas für mich von diesem Lebensgefühl, von diesem trotzigen Willen, zu konservieren, um es später irgendwie
nutzbar zu machen. Für mich ist es die pure Energie, mit dem „Engel über dem Revier“ zu gleiten und das Gefühl
auszuspucken, das mich bei Gundis „Krieg“ immer wieder packt. Fast als fühle ich mich wie Heiner, nur mit der
Mandoline „bewaffnet“ und dennoch von drei wundervollen Gesangsstimmen „beschützt“, vor dieser wogenden
Menschenmasse, als er singt. „Darum ist Krieg … und jetzt weiß ich wieder warum“. Ich spüre dieses Wendegefühl
immer noch in jedem meiner Nerven vibrieren, auch wenn es schon seit drei Dekaden in der Vergangenheit lauert. Kann
sein, ich bin von gestern, aber genau dort habe ich stolz gelebt. Es steckt noch in mir, ist nicht tot. Das sind für mich
diese Gundilieder, transportiert von dem zerklüfteten Lebensgesicht vor mir, das sie so inniglich und ehrlich singen kann.
DANKE Heiner, das würde ich so gerne auch können und der grinst dabei, als hätte er mich gehört und verstanden.
Wahrscheinlich geht es anderen ähnlich, hier im Rund und draußen auf den Straßen und den eigenen vier Wänden, wo
ihre Herzen manchmal „Ruhetag“ haben von all dem Durcheinander zwischen Glotze und Gesichtsbuch. Solche
Gedanken jagen bei dieser klingenden West-Ost-Umarmung durch meinen Kopf und nicht immer finden sie einen
Ausgang Richtung Wahrheit. „Überlebe wenigstens bis morgen“ kann da eine brauchbare Strategie sein, denn „morgen
schon verzieht sich der Rauch“, singt Heiner in unsere Ohren. Dann noch von „Drachentöters Vater“ und ich ahne
wieder, selbst wenn sich der Rauch mal verzieht, ist es „kein Spiel, die Sonne zu hissen, die kalt niederfiel“. Trotzdem
muss ich lächeln mit meinem sieben Dekaden auf’m Buckel und die nächste noch nicht vollendet. Das wird schon,
denke ich und lasse den Rock-Rentner tänzeln.
Wie würdigt man einen Typen wie diesen Gerhard Gundermann? Das habe ich mich beim Beschreiben des
Gundermann-Tributs 2008 in Berlin gefragt und gemeint, man solle seine Lieder singen und in die Zukunft tragen. Nun,
fünfzehn Jahre nach meinem ersten Besuch bei der Randgruppencombo, singen wir seine Lieder immer noch so gern.
Wir singen heute „Eine kleine leise Traurigkeit“ und wir stimmen „Ich mache meinen Frieden“ an, obgleich ich mit
manchen Vorkommnissen im Alltag keinen Frieden machen möchte. Doch als die ersten Töne von „Alle oder keiner“
über die Köpfe rauschen, kann auch ich mich nicht halten. Also „Fernseher aus, Sternschnuppen an“ - die Perseiden
habe ich gesehen und hier will ich Begeisterung finden: „Rein ins Vergnügen und raus aus’m Krieg!“ - nur wie geht
dieses „raus aus’m Krieg“? Bitte einen Nobelpreis für die richtige Antwort, denn „Wir haben keine Zeit mehr“ tönt es von
der Bühne und ganz allmählich laufe auch ich gegen meinen Lebenslauf …
Langsam zieht die Nacht einen dunklen Vorhang über die Großstadt, die eine Weltstadt sein will, aber gesungene Kultur
im Freien zwei Stunden vor Mitternacht verbietet. Gott, geht ihr kleingeistig-spießig mit Eurer Freiheit und der der
Andersdenkenden um, seitdem ihr montags für Freiheit demonstriert habt, aber heute anderen nur diese halbe Freiheit
zugesteht. Paradoxe Freiheit, die Ihr da formuliert, und wir in dieser Arena singen deshalb gegen das Ticken der Zeiger
an. Diese deutsche Gesellschaft ist mehr gespalten, denn je, aber gegen „mein Haus, mein Auto und meine Freiheit“ ist
Vernunft scheinbar untauglich. Lieber beschäftigen wir uns mit dem Ignorieren der deutsche Grammatik, aber – „Oh
weh, oh weh“ - ich schweife ab ….
Im Laufe des Abends werden viele schöne Lieder gesungen, weit über zwanzig. Wir feiern Geburtstag mit Heiner
(Waldhorn) und verabschieden Rupert wehmütig aus den letzten Terminen. Wir hören ein paar kuriose Anekdoten aus
Gundis Leben und spüren seine Regentränen auf der Haut. Viele tanzen im Reigen vor der Bühne und meine Klamotten
sind noch immer nass. Nur ein einziges Mal steckt mir ein Riesenkloß im Hals und ich bekomme keinen einzigen Ton
heraus. Ich stehe in der Menge vor der Bühne und die singt vom „Kommen und Gehen“ und meine innere Uhr dreht die
Zeiger dreißig Jahre in der Zeit zurück. So viele wollen das kleine Land verlassen, aber ich kann nicht beim „alle, die
gehen woll’n, sollen gehen können“ singen. Mich überrennen gerade die Gefühle, stehe abseits und könnte heulen,
einfach so und weil ich es über drei Jahrzehnte geschafft habe, hier zu sein. Zum Gehen hat’s nicht gereicht, wollte ich
nicht. Nur gut, sonst wäre ich an diesem Abend nicht hier, beim Gundisingen.
Einer schrieb sich vor Jahrzehnten seine Liebe, seinen Wut und Schmerz von der Seele und packte sie alle in Lieder.
Nicht bewusst gemacht, um zu überdauern, sondern um Augenblicke einzufangen. Dass sie überleben, ihn überleben
würden, konnte er nicht planen – er hatte „keine Zeit mehr“! Doch sie werden gesungen, so wie das Gras immer und
immer wieder wächst. Es „klammert all die Wunden zu, ist manchmal stark und manchmal blass, so wie ich und du“. Ich
singe diese Zeilen im Chor hunderter Stimmen und bin glücklich, verdammt glücklich. Glück strahlen auch die Gesichter
von Heiner, Ester, Tini, Uschi, Heike, Hannah, Rupert, Heiner (Krause) und dem Mann am Bass aus. Vielleicht ist es das,
was dieser Abend des Abschieds wunderbares erreichen konnte: Gundis Lieder singen und glücklich dabei sein. Mehr als
20 Jahre nach seinem viel zu frühen Ableben und 22 Jahre nach Gründung einer wunderbaren Randgruppencombo mit
dem großartigen Gundi-Singer Heiner Kondschak. Langsam neigt sich dieses wundervolle Kapitel seinem Ende zu und
ich habe vieles davon miterleben dürfen. Ich bin, gleich vielen, reich beschenkt und sehr glücklich.
Nach dem gemeinsamen Schlussgesang von „Gras“ – „Manchmal stark und manchmal blass, so wie ich und du.“ –
wünscht Heiner „Gute Nacht“ und sagt „Auf Wiedersehen“. Im Dunkel der Nacht und noch im Licht der Spots sehe ich
feuchte Augen in glücklichen Gesichtern. Autogramme werden auf Poster geschrieben, Umarmungen getauscht und
Versprechen gegeben. Seit 2007 im Fritz Club sind fünfzehn Jahre vergangen. Mittendrin fanden sich immer wieder mal
Glanzpunkte voller Musik, auch mit der von Gundermann. Keine Ahnung, was die nächsten fünfzehn bringen werden.
Wenn alles gut geht, werde ich die 90 anvisieren und viel zu erzählen haben. Das größte Glück wäre es dann, wenn mir
genug Menschen zuhören und verstehen würden. Beides müssen wir alle wieder lernen. Vielleicht mit Hilfe von
(Gundermann)Liedern? Noch haben wir Zeit, aber wie viel ….
Diesen Beitrag widme ich Heiner Kondschak (06.08.1965 - 12.08.2024), ohne dessen Begeisterung für Gundermann, diese Lieder nicht in so
eindrucksvoller Weise viele Gundi-Fans begeistert und viele Herzen erwärmt hätten. DANKE Heiner, solange wir leben, bist Du auch bei uns.