Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
                                      Ich bin der  RockRentner im Harz
          und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Kaiserwarte bei Blankenburg                                                                                               22.10.2020 Dort hinauf wollten wir schon einmal wandern. Lily war noch gut in Schwung und die Erfahrung Krebs lag hinter uns. Das war im Mai 2018 und die Natur strotzte im frischen saftigen Grün. Der Wanderweg zur Kaiserwarte aber war, trotz Wanderkarte und gutem Willen, nicht zu finden. Schön war es damals trotzdem. Zwei Jahre später ist Herbst, Lily eine betagte Dame und die gesundheitlichen Rückschläge scheinen verdaut. Es könnte noch einmal so richtig schön werden, meinte der Herr vom Wetterdienst, und deshalb kommt, welch ein Zufall, wie aus dem Nichts der Gedanke, die herbstlich bunte Natur im Harz zu bewundern. Die Entscheidung zwischen Hamburger Wappen, Rothe Mühle plus Holtemme und  Kaiserwarte fällt zugunsten der Warte aus. Was keiner in diesem Augenblick bedenkt, der Eichenberg mit dem Aussichtsturm, eigentlich Wilhelm-Raabe-Warte, erhebt sich locker 400 Meter in den blauen Himmel und ein Viertel davon über Blankenburg. Auch am heutigen Tag. Am Ortsausgang von Blankenburg macht die Bundesstraße einen scharfen Knick und danach geht es hinein in die Serpentinen. Der Waldweg, den ich als Parkplatz nutzen will, ist mit einem runden Schild versehen, dass dessen Nutzung untersagt. Scheisse! Also hoch in die Serpentinen. Wir parken genau dort, wo wir zwei Jahre zuvor schon gelandet waren. Es gibt eine hitzige Diskussion und anschließend die Rückfahrt zum Ort. Hier wenden wir, fahren zurück zum Ortsausgang, aber diesmal fahre ich frech in den Waldweg hinein. Irgendwo muss man schließlich mit seiner Wanderung starten können, wenn schon kein Parkplatz in der Nähe ist und keine Dorfwanderung daraus werden soll. Gleich hinter dem Verbotsschild, gut sichtbar, verlassen wir unser Gefährt am Waldrand. Als wir später zurückkommen, hat es Gesellschaft bekommen. Plötzlich stehen wir mitten im herbstlich bunten Wald, Mischwald. Von hier zweigt ein Schotterweg scharf nach rechts und bergan ab. Es gibt, außer einer unübersichtlichen Karte, keinen Hinweis, aber wir wollen ja auf die Kuppe. Also folgen wir den Spuren und mühen uns aufwärts. Mein Gebälk lässt mich fühlen, dass mir seit geraumer Zeit die Übung fehlt. Es knarrt, es reibt und es schmerzt. Prima, denke ich, das kann was werden. In der ersten Biegung ergibt sich ein traumhafter Blick auf die unter uns liegende Stadt Blankenburg, also ein Traumblick bei herrlichem Wetter. Genau so hatte ich mir das vorgestellt, ehe wir uns auf die Socken machten. Wenige Minuten und Schritte weiter nimmt das Unheil dann wirklich seinen Lauf. Gleich hinter einer maroden Bank ist an einem Baumstamm ein Schild angebracht. Ein Pfeil, Aufschrift: zur Rabbe-Warte, zeigt unmissverständlich gegenüber ins Gebüsch. Zwischen herab hängenden Geäst der Bäume führt ein kaum erkennbarer, und dicht mit Laub übersäter, Pfad steil den Berghang hinauf. Auf der Karte ist kein Hinweis darauf zu entdecken, bei Herrn Gugelmäps übrigens auch nicht. Einen Augenblick denke ich, das schaffst Du niemals, doch schon Sekunden später machen meine Beine genau das Gegenteil. Ich folge ihnen gehorsam in den Wald und auf den Berg. Zwei Minuten später und ein paar Meter höher, bricht mir der Schweiß aus allen Poren. Auf dem Laub mit dem steinigen Untergrund ist dies hier ein Heraufkämpfen Schritt und Schritt. Jedenfalls für mich und meine Hüfte. Beim Blick auf den Pfad nach oben schwant mir schlimmes. Ein Gedanke an zurück meldet sich auch, doch dann stampfen wir, langsam und keuchend, stur weiter. Unsere Hundedame ziehen wir streckenweise hinter uns er. Im hohen Laub hat Lily mit ihren kurzen Beinen keine echte Chance, allein voran zu kommen. An den ganz steilen Abschnitten und über umgefallene Bäume muss ich sie letztlich, völlig durchgeschwitzt, tragen. Sie lässt es dankbar geschehen, während ich wirklich aufpassen muss, nicht mit dem Hund auf die Nase zu fallen. Es ist eine mühsame Qual und ein Kampf gegen den inneren Schweinehund, den abzubrechen inzwischen nicht mehr lohnt. Jetzt müssen wir durchhalten bis zum bitteren Ende, den Gipfelsturm. Für die letzten, weiß nicht wieviel Meter, hat vor Jahrzehnten jemand einen Stieg aus Bohlen gebaut. Die sind inzwischen teilweise verrottet, aber immer noch besser, als Laub unter den Füßen zu haben. Letztlich erreichen wir einen Schotterweg, auf dem wir den Gipfel, fix und alle, endlich doch erreichen. Geschafft! Ich stehe da oben, völlig durchgeschwitzt sowie außer Puste. Mitten auf dem Plateau wacht ein Turm, reichlich zwanzig Meter hoch, über das Umfeld: die Wilhelm-Raabe-Warte. Im Jahr 1896 als Kaiserwarte eingeweiht, wurde der Turm 1950 zu Ehren des Schriftstellers Wilhelm Raabe umbenannt. Besteigen kann man ihn aus Sicherheitsgründen nicht mehr. Der Gebäudekomplex daneben sieht noch maroder aus. Er scheint langsam aber sicher zu verfallen. Trotz des schönen Wetters bietet das Areal insgesamt einen trostloser Anblick und, was den Gesamteindruck nicht besser macht, keinen Ausblick ins Tal. Man hat die Bäume einfach wuchern lassen. Kein Wunder, dass wir hier die einzigen Besucher sind. Zum Glück gibt es am Fuße des Turms zwei Holzbänke zum Verschnaufen. Unsere Lily stillt ihren Durst am mitgebrachten Wasser. Mir schlackern noch immer meine morschen Knochen. Nicht einmal einen Stempelkasten für die Harzwandernadel gibt es hier. Dann war für uns heute wohl der Weg das Ziel und der hatte es nach oben in sich - und abwärts? Ehe Lily losrennen kann, klemmt die Hundelady bei Frauchen unter dem Arm. Beide sind mir gleich ein paar Schritte voraus. Aus dem Gebüsch schnappe ich mir einen dicken Stock und taste mich ebenfalls, die Hüfte schonend, Schritt für Schritt und Stufe für Stufe, auf den alten Bohlen nach unten. Jetzt nur nicht ausrutschen, ist so ziemlich das einzige, was mir durch den Kopf schießt. Erst jetzt fällt mir auch ein, dass abwärts auch zu Hause meine „Paradedisziplin“ ist. Allerdings mit dem Unterschied, dass ich hier kein Geländer zum Festhalten vorfinde. Der Stock ist nur eine Krücke. Erst recht, als diese Stufen hinter mir liegen und der Laubteppich, in aller Schönheit vor mir ausgebreitet, den Pfad nach unten polstert. Zwar komme ich nicht ins Schwitzen, dafür spüre ich jetzt jeden einzelnen Schritt, während Lily mit Frauchen locker hinab gleiten. Lily genießt es inzwischen sogar, wieder allein durch das Laub mehr zu rutschen, als auf ihren vier kurzen Beinen zu laufen. Wir sind erstaunlich schnell wieder unten am Schotterweg mit der Bank und diesem Schild am Baum. Ich bin froh und mir schlottern die Knie, Lily will nur weiter, zurück zum Auto. Also machen wir es so. Nach wenigen Schritten erlebt die Hundedame noch eine Straßenbekanntschaft und wir machen noch einige Fotos zur Erinnerung an einen schönen Herbsttag. Unser Gefährt wurde nicht abgeschleppt, es steht noch da und hat kein Knöllchen bekommen. Warum auch, es machen alle genau so, ohne damit die Fortwirtschaft zu behindern. Als ich wieder hinter dem Lenkrad sitze, spüre ich fast jeden meiner Knochen, gebe trotzdem vorsichtig Gas und wir verlassen den Waldweg. Schnell liegen die Berghänge und Blankenburg hinter und die vier eigenen Wände in Halberstadt (samt Badewanne) vor uns. Der Muskelkater bleibt noch einige Tage mein Gast.