Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Magische Begegnung am Ferdinandsstein
20.09.2024
Um diese Klippe rankt sich die Erzählung vom letzten frei lebenden Wolf im Harz, den ein Herr Ferdinand zu Stollberg-
Wernigerode im Jahre 1798 erlegt habe. Den Gipfel hatte ich zwar Anfang August schon einmal erreicht, mich aber mit
künstlichem Hüftgelenk nicht getraut, weiter über die riesigen Gesteinsklopper zum Stempelkasten zu klettern. Diesmal
soll es mir aber gelingen, für einen Stempelabdruck von der anderen Bergseite anzugreifen.
Mit einer Busladung Rentner gelange ich, passender Weise, zum Gasthof Plessenburg. Den lasse ich aber rechts liegen
und steige neben der Jagdhütte sofort in den steilen Hohlweg ein. Etwas außer Puste erreiche ich drei Minuten später
das kleine Hochplateau mit den toten Resten von Kiefern. An der Wegkreuzung mit der Bank biege ich diesmal nach
rechts in einen Waldweg ein. Laut Mr. Google sollte ich bald einen Abzweig nach links zum Ferdinandsstein erreichen.
Der Weg aber führt von der Höhe des Plateaus schnurgerade wieder abwärts ins Tal. Ende nicht in Sicht. Verunsichert
schwanke ich zwischen weiter und zurück, entschließe mich letztlich, weiter zu gehen. Das ungute Gefühl aber, schon
bald wieder aufwärts zu müssen, bleibt. Zwar entdecke ich zur linken Seite einen schmalen Pfad, doch so etwas wie ein
Hinweis fehlt. Also weiter abwärts, immer tiefer bis zu einer Gabelung. Der Wegweiser ist wenig hilfreich. Da ich aber
zum Ferdinandsstein möchte, muss ich den Abzweig nach links nehmen. Kurze Zeit später nähere ich mich einer Hütte
und einem Stapel Bretter. Dort sitzen zwei Wanderer in der prallen Mittagssonne und machen Pause. Gute Idee!
Wir plaudern und ich erfahre, woher sie kamen, nämlich von den Ilsefällen, und wohin sie wandern – zur Plessenburg.
Außerdem weiß ich nun, dass meine Entscheidung richtig war und ich hier weiter auf dem Waldweg gehen muss. Als
beide wieder aufbrechen, gehe auch in weiter, folge dem Waldweg wieder aufwärts. Die Sonne brennt auch hier und ich
ahne, dass ich in der Mittagsglut wieder ganz nach oben muss. Als ich endlich den steilen Aufstieg zum Ferdinandsstein
vor mir sehe, verlässt mich die Courage. Diese Quälerei dort hinauf – nee! Plötzlich ist meine Motivation im Eimer.
Ich habe mindestens noch acht Kilometer Rückweg vor mir und falls ich dort oben ankomme, bin ich platt. Ich weiß, der
Berg steht nächste Woche, nächsten Monat und nächstes Jahr auch noch hier. Das tröstet mich, als ich umkehre und
zurück zur Hütte gehe. Mein Ziel heißt wandern: im Wald, auf den Höhen und die Abgeschiedenheit der Stille erleben.
Das mache ich seit zwei Stunden. Also wähle ich an der Hütte den Weg, der mich ins Ilsetal bringen soll. Doch zunächst
führt auch er leicht aufwärts bis zu einem Hochstand an einer Biegung. Als ich da herum bin, tritt keine hundert Meter
vor mir ein prächtiger Hirsch aus dem Dickicht. Der bleibt stehen, ich zücke die Kamera, er blickt zu mir, doch ehe ich
den Auslöser betätigen kann, ist das stolze Tier wieder verschwunden. Wie ein großer dunkler Schatten stand er gerade
noch da vorn und hat sich doch nicht ablichten lassen. Das war ein echt magischer Moment!
Ab jetzt sind meine Sinne beim Wandern hellwach. Auf diesen einsamen Höhen sind bestimmt noch mehr Begegnungen
möglich. Doch es bleibt bei dieser einen. Die Natur hier oben überrascht mit einer rauen Schönheit. Reste toter Fichten
zwischen wuchtigen Gesteinsbrocken und frischem, aufstrebenden Grün. Ich werde mit unterschiedlichen Aussichten
zum Brocken belohnt und staune, wie majestätisch der Berg auch von dieser Seite wirkt. Weit oben dreht die rauchende
Brockenbahn ihre letzte Runde ums Plateau. Die Rauchfahne verrät sie. Auf einem Baumstumpf sitzend genieße ich das
Schauspiel vom ersten Rang aus. Fehlt nur noch ’ne Brockenhexe auf’m Besenstiel …
Der Stieg durch den toten Wald ins Tal, Schlüsie genannt, ist steil, steinig und irgendwie unwirklich. Zum Glück hilft
mein Wanderstab die Wurzeln und Steine sicher zu überwinden. Abwärts ist gefährlicher, als aufzusteigen. Am Ende des
Abstiegs plätschert die Ilse als Bach am Forstweg entlang, dem ich nun bis zur Bremer Hütte folge. Noch einmal gönne
ich mir hier eine kleine Pause, ehe ich dem Lauf des Wassers, an den Ilsefällen entlang, weiter ins Tal folge und nach
fast fünf Stunden den Wanderparkplatz Ilsenburg erreiche. Heute bin ich leicht vom Wege abgekommen, war nicht auf
dem Ferdinandsstein und hatte eine magische Begegnung in der Einsamkeit auf den Bergen. Es ist Herbst geworden im
Harz und auch ich bin angekommen im Herbst des Lebens - und ziemlich glücklich.