Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Bärenhöhle und Granestausee
16.01.2023
Hier in Halberstadt scheint die Sonne, wenn auch am Himmel ein paar Wolken aufziehen. Der Brocken allerdings hüllt
sein Plateau in eine dichte graue Wolkenmasse. Eine halbe Stunde später fahren wir in Goslar ein und es beginnt, zu
regnen. Wir wollen unser jüngstes Enkelkind vom Kindergarten abholen. Was macht man mit einem Sechsjährigen, der
nur so vor Bewegungsdrang strotzt, draußen Regen die Wege nass macht und dicke dunkle Regenwolken über die
Berge drängen? Richtig, man geht mit ihm wandern, hinaus in die Natur mit all ihren Begleiterscheinungen. Hier im
Harz ist das so, weil gesund!
Auf dem Parkplatz am Kinderspielplatz, unterhalb vom Steinberg, bleibt die Karosse zurück. Es regnet und der steile
Weg, am Hang abwärts, ist von dicken Reifenspuren schmierig gefahren. Nur die Mitte ist ein begehbarer schmaler
Streifen geblieben. Auf dem taste ich mich, meinen Wanderstock fest in der Hand, vorsichtig abwärts, während mein
Enkel lockeren Fußes die Freiheit des Wanderns genießt und jeden Baumstumpf am Rand bestaunt. Es dauert auch
nicht lange, dann hat er den kleinen Pfad entdeckt, der in eine kleine Mulde führt: „Oma, gucke mal da!“, und gleich
danach: „Da will ich hin!“.
Noch ehe jemand auch nur andeutungsweise „Ja“ sagen kann, ist der Wirbelwind schon abseits auf Entdeckertour
unterwegs. Ein wenig später bin ich auch da, unterhalb einer steil aufragenden Wand aus Schiefergestein. Wir drei
haben nach wenigen Minuten die Bärenhöhle erreicht, die natürlich keine solche ist. Hier am südwestlichen Hang des
Berges versuchte man einst, Schiefergestein abzubauen. Von Bären keine Spur, jedenfalls nicht mehr im 19.
Jahrhundert. Die eigentliche (Schiefer)Höhle ist inzwischen mit einem Gitter versperrt. Würde man hindurch kriechen
dürfen, bekäme man statt Bären viele Fledermäuse zu sehen, die hier überwintern. Das Gitter schützt sie vor
neugierigen Besuchern. Also stehen wir vor dem großen dunklen Loch und staunen in die Dunkelheit hinter dem
Gestein, ehe wir schließlich weiter gehen. Die Fledermäuse lassen sich noch hängen, bis die Sonne die Natur wieder
zum Leben erweckt.
Meine Füße tasten sich auf dem glitschigen Pfad weiter abwärts durch das Schlüsseltal. Am Rand des Weges plätschert
mittlerweile ein munteres Rinnsal ins Tal, auf dessen Miniwellen der kleine Wildfang Blätter zu setzten versucht. Das
Wasser, das inzwischen den Weg überquert, möge sie auf die Reise schicken, über den kleinen Wasserfall bis in den
Stausee hinein. Unten gabelt sich der Weg. Ich kann das Rauschen von fließendem Wasser hören und dann entdecke
ich an der Talsohle einen Zufluss zum Stausee. Wir sind am Rundweg angelangt. Vom Hang gegenüber prasselt jede
Menge Wasser in das riesige Staubecken. Der Zutritt, um das Geschehen bestaunen zu können, ist versperrt. Ich
beschließe, heute mal Vorbild zu sein und halte meine Neugier zurück, das rauschende Wasserspiel aus der Nähe zu
sehen.
Es regnet immer noch gleichmäßig und manchmal schneit es sogar. Mir und meiner Kamera geht das Nass auf den
Keks, meinem Enkelkind ist das egal. Erinnerungen an die eigene Kindheit kommen auf, als wir die Pfützen auf der
Dorfstraße zu Weltmeeren träumten. Der Knirps macht wahrscheinlich jetzt auf dem Rundweg ähnliche Erfahrungen, die
irgendwann einmal zu Erinnerungen werden. Ein felsiger Hang wird zum Gebirge und der krumme Ast einer Birke zum
Wanderstab. Deshalb kann er mit Opa Schritt halten und sich stolz damit ablichten lassen. Das Foto entsteht vor einem
Felsklumpen mit dem fast leeren Stausee im Rücken. Die Hände in die Hüften gestemmt, so sehen Eroberer im
Flockenwind aus!
Zehn Minuten später die nächste Gabelung und auf einer kleinen Anhöhe lugt eine Spitze durch dürre Äste. Das muss
die Stempelstelle sein, hoffe ich im Stillen. Ein Platz zum Sitzen und ein Dach darüber wären jetzt schön. Ich klettere
über knorrige Wurzeln und tatsächlich, auf dem Hügel steht eine Hütte und darin befindet sich der Kasten mit dem
Stempel Nummer 110 (sprich: eins, eins, null). Enkelchen ist begeistert, denn die „eins-eins-null“ kennt er, wenn sein
Vater, mein Sohn, Bereitschaftsdienst hat und der rote RTW vor der Tür steht. Stolz drückt er den Stempel in sein neues
eigenes Wanderheft. Die Welt ist in Ordnung, auch wenn dichte Flockenwirbel über dem grauen Granestausee tanzen.
Wir sind im Harz unterwegs, da ist das eben manchmal so. In der Wanderhütte treffen wir zwei Damen, die ebenfalls,
nur in anderer Richtung, unterwegs sind. Gemeinsam genießen wir die Rast, trinken Tee und essen Äpfel sowie
Mohrrüben. Der Ausblick auf den Stausee ist vom Regen getrübt, aber egal, im Sommer können wir noch einmal hierher
kommen. Dann ist der See bestimmt wieder bis oben gefüllt.
Als wir uns auf den Rückweg machen, traut sich plötzlich die Sonne durch die Wolken. Der Regen hat sich verzogen und
wir laufen zügig. „Wenn wir zu Hause sind“, meint der Kleine, „machen wir es uns gemütlich und trinken Kaffee“. Diese
Aussicht lockt, doch zuvor müssen wir den steilen Bergweg, den wir vorhin abwärts liefen, nun aufwärts bewältigen. Als
der Weg im Schlüsseltal dann steil vor meinen Augen in die Höhe ragt, beginnen zehn Minuten Quälerei und
Selbstüberwindung. Jeder Schritt führt nach oben, aber es dauert und hinter jeder Biegung lauert der nächste
Teilabschnitt. Ich schalte den Kopf aus, überlasse den Beinen die Arbeit und schiebe mich mit dem Wanderstab bei
jedem zweiten Schritt unterstützend aufwärts. Das geht Meter um Meter, bis ich endlich verschwitzt oben ankomme.
Enkelkind mit Omi folgen hinterher. Dann strahlen wir um die Wette: Stempel „eins-eins-null“ kassiert, Zeit mit dem
Enkelkind verbracht und viel frische Luft durch Bewegung getankt. Der Einstieg ins neue Wanderjahr ist gelungen, ich
höre den Kaffee durften.