Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Ein Teddy auf dem Kapitelsberg
22.07.2023
Tanne ist ein kleines, verschlafenes Nest im Harz. Durch das Tal schlängelt sich die Warme Bode und die Häuser wurden
ans Ufer sowie an die Berghänge gebaut. Dahinter ziehen sich grüne Weideflächen in die Höhe und wenn man genau
hinschaut, erkennt man die rotbraunen Harzrinder der Region. Hier war ich schon einmal, allerdings nur auf der
Durchreise zwischen Braunlage und Königshütte. Damals fielen mir auf der anderen Talseite die steilen Hänge, und
darauf ein großes Holzkreuz, auf. Nachdem ich nachgelesen hatte, wusste ich, dies ist der Kapitelsberg und dort oben
steht hinter dem Holzkreuz eine Wanderhütte mit einem Stempelkasten. Außerdem findet man in Tanne Brockenbauer
Thielecke und sein Gehöft mit Hofladen und Gaststätte. Alles zusammen Gründe, sich noch einmal nach Tanne zu
begeben, um die Wanderhüte mit Stempel und dem Holzkreuz aufzusuchen. Danach könnte man vielleicht beim
Brockenbauer noch eine Kleinigkeit speisen.
Hinter Königshütte lasse ich mich gemächlich entlang der Warmen Bode um die vielen Kurven rollen. Ich habe sie nicht
gezählt, aber hinter jeder Kurve war eine weitere zu durchfahren. Entschleunigung auf vier Rädern und kurz vor dem
Ortseingang ein kleiner Parkplatz. Von dort bis zur Brücke über die Bode sind es nur wenige Schritte. Als wir gerade
starten wollen, fragt einer mit dem Kennzeichen MSH nach meinem Teddy im Rucksack. Ich erkläre die kurze Geschichte
von 16 langen und schönen Jahren mit unserer Lily, die all unsere Wanderungen mitmachte. Nun ist sie eben als Teddy
bei uns, weil ich keinen ebenbürtigen Kuschelhund fand. Auf diese Weise ist Lily immer noch beim Wandern dabei.
Am anderen Ufer führt ein Trampelpfad aus dem Ort raus, immer am Hang mit umgeknickten Bäumen und deren
Stümpfen entlang. Es fühlt sich an wie im Zauberwald, nur dass die Hexen nicht hier, dafür eher am Brocken zu Hause
sind. Welch ein Glück! Dennoch sehen einige dieser Baumstümpfe ziemlich geisterhaft aus. Der Pfad führt über ein
Bächlein, das aus einem Seitental dringt und dann noch tiefer in den Zauberwald. Wir laufen durch dichtes Gestrüpp
und später scharf nach links und in den Hang hinein, steil aufwärts. Na prima, denke ich, endlich wird mein Kreislauf auf
Hochtouren gebracht. Ich schnaufe und schwitze, bin aber recht schnell aus dem Zauberwald raus und finde mich in
einer Zone voller Sträucher und kleiner Bäume wieder. Wäre dies alles noch dichter Nadelwald, würde ich einfach dem
Pfad durch den Wald folgen. Jetzt habe ich freie Sicht und kann die Hänge mit ihren Bergwiesen sehen. Im Dunst
dahinter den Wurmberg und den Brocken. Der Gipfel scheint zum Greifen nahe und das Dach der Schutzhütte ist hinter
dem Gehölz und einzelnen Bäumen zu erkennen. Der Kapitelsberg ist erklommen, die Schutzhütte nach einer reichlichen
halben Stunde erreicht. Ein schönes Gefühl.
Dies soll die schönste Wanderhütte im Harz sein, sagt man. Ich kann nichts erkennen, was dagegen sprechen würde.
Die Hütte hat eine überdachte Terrasse, einen Innenraum und darüber sogar einen „Dachboden“ zum Nächtigen. Davor
ist ein Balkon vorhanden. Vor der Hütte hat man eine sichere und einladende Feuerstätte errichtet. Wäre ich fünfzig
Jahre jünger, ich würde es einmal ausprobieren, die Sommernacht hier zu verbringen. Vielleicht könnte man am
nächtlichen Himmel sogar die Milchstrasse erkennen. Eine Vorstellung, die mich verleiten könnte, dem stillen Lockruf
der Sterne zu folgen.
Doch jetzt und heute staune ich erst einmal über die Hügel und Hänge der näheren Umgebung. Zwar ist es heute etwas
diesig, Wurmberg, Brocken und der Hohnekamm hüllen sich in einen Dunstschleier, aber die nähere Landschaft zu
meinen Füßen strahlt auch einen besonderen Reiz aus. Ich stehe auf 528 Meter und kann beinahe jedes Detail unter
mir gut erkennen. Auch die Rindviecher auf der Wiese gegenüber und die Biker auf der Strasse. Von hier genießt man
einen wundervollen Rundblick über die südliche Harzgegend zwischen den Bergen und den Ausläufern. Wenn der Wind
etwas weniger heftig wäre, könnte ich hier für eine Stunde Wurzeln schlagen. Ich entledige mich des Rucksacks und
meines Wanderstabes, ziehe ein Hemd über und wage mich danach zum äußersten Rand mit dem Holzkreuz vor. Hier
steht eine Bank für die beste (und windige) Aussicht. Entschleunigung pur und ich bereue es nicht, heute auf das
Konzert in Landsberg verzichtet zu haben (zumal „der Papst“ leider einen Unfall hatte). Also sitze ich „Narr auf dem
Berg und sehe zu, wie die Welt sich dreht“.* Manchmal glaube ich, dass Altern auch weise machen kann.
Wir sind nicht allein hier oben. Ein „älteres“ Paar war einige Schritte vor uns und ein jüngeres eher da. Zunächst gingen
wir uns aus dem Weg, doch dann kam eine zweite Frage nach dem kleinen Teddy in meinem Rucksack. Ich hab’ den
beiden die Geschichte dahinter erzählt und verständnisvolles Lächeln erleben dürfen. Schließlich ist es nicht alltäglich,
dass ein alter (weiser?) langhaariger Mann mit einem Teddy auf dem Rücken wandern geht. Ich mag ihn, so wie ich Lily
geliebt habe und deshalb gehen wir auch gemeinsam wieder runter vom Berg. In meinem Rucksack sitzt jemand, der
auf mich aufpasst.
Am Parkplatz angekommen, beschließen wir, obwohl es Samstag und also Wochenende ist, doch noch dem
Brockenbauer Thielecke einen Besuch abzustatten. Man erzählt, dass man vorbestellen sollte, um einen Platz zu
bekommen, zumal am Wochenende. Zu meinem Erstaunen können wir sogar auf den Hof fahren, einen Parkplatz in
Beschlag nehmen und einen freien Tisch im Gastraum finden. Vielleicht hat ja Lily damit zu tun? Wir werden freundlich
bedient, speisen gut und geben entsprechend reichlich Euronen. Zur Erinnerung wandert noch ein Stück
Brockenbauernsülze in den Rucksack. Auf dem Hof entdecken wir einen roten Kasten mit einem Sonderstempel: „Im
Schatten der Hexen – Brockenbauer Thielecke. Dessen Abdruck wandert auch noch in die Wanderhefte. Noch ein Eis
auf die Hand und ein Besuch bei den Zicklein und zwei Eseln, dann rollen wir den Berg runter und wieder durch das
kleine Harznest Tanne im Harz. Dem Holzkreuz winken wir noch zu, ehe uns wieder die Kurven verschlucken. Zwei
Stempeldrücke mit der Nummer 44 und vom Brockenbauer ruhen in unseren Wanderheften und Teddy-Lily passt, vom
Rücksitz her, auf. Liebe Grüße in den Hundehimmel, Du fehlst uns.
* Beatles - „Fool On The Hill“