Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
                                      Ich bin der  RockRentner im Harz
          und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
KARUSSELL live im Beatschuppen                                                                                    01.11.1978 Wenn man in der Rockmusik von Legenden spricht, dann gab es die sicher bereits in den ausklingenden 1970er Jahren. Namen wie Jimi Hendrix, Brian Jones, Jim Morrison oder Janis Joplin fallen mir ein, die in jener Zeit den „Club 27“, der viel zu früh Verstorbenen, begründeten. Um deren Leben und Musik rankten sich Erinnerungen und Erzählungen, über deren Musik, Texte oder Covergestaltungen wurde philosophiert und gedeutet. Sie waren Ikonen, die den Fans fehlten, weil sie die Rockmusik mit ihrer Kreativität noch viele Jahre hätten bereichern können.   In der kleinen DDR wurde die Bürkholz-Formation zum Mythos und die Klaus Renft Combo viel zu früh zu einer Legende stilisiert, indem man beiden die Existenz und Entwicklung verwehrte. Für die Fans ein schmerzlicher Verlust, für die künstlerische Zukunft im engen Universum eine Tragödie. Aus der Zerstörung der Idole aber wuchsen, wie Phönix aus der Asche, neue Bandkonstellationen. Eine von ihnen war KARUSSELL, hervorgegangen im Frühjahr 1976 aus der Amateurband FUSION. Bei der fanden sich Schlagzeuger Jochen Hohl sowie der Gitarrist, Sänger und Frontmann CÄSAR, die beiden ehemaligen Renftler, wieder. Karussell war eine von vielen neuen Bands, allerdings eben die mit CÄSAR. Die beiden ehemaligen Renft-Musiker erwiesen sich schnell als Glücksfall, denn vor allem CÄSAR war einer, der schon damals einen eigenen Namen hatte, dem Geschichten nacherzählt wurden, der Kult schon zu Lebzeiten wurde. Noch stand dem Sänger und Gitarristen der Sinn nach eigener Musik, nach Liedern, Blues und Rock’n’Roll und all dem, was sich damit verband. Keyboarder und Bandchef Wolf-Rüdiger Raschke, ein Organisationstalent mit besonderen Qualitäten, nutzte die clever die entstandene Chance und das Karussell drehte sich mit den Jahren immer schneller. Der Rundfunk wurde aufmerksam, produzierte mehrere Titel und schon 1978 legte die Band mit „Entweder oder“ ihre erste Amiga-LP vor. Karussell war live ausgebucht bis unter die Hutkrempe und tourte mit voller Drehzahl. Im November 1978 hatte ich das Glück, die Gruppe für ein Konzert auf „meiner“ Bühne im alten Gesellschaftshauses in Elsterwerda bei ROCK-MIX 4 zu haben. An jenem Ort, wo ich schon 10 Jahre zuvor, die frühe Version der Klaus Renft Combo mit Klaus, Fetz, Matko und Stolle zum Tanz sowie ab 1970 auch die Combo in der „Originalbesetzung“ erleben durfte. Davon existiert sogar ein Foto. Nun also stand CÄSAR wieder einmal auf diesen Brettern und mit ihm jene Band, die in den Augen vieler, die CÄSAR verehrten, die Tradition der Klaus Renft Combo angemessen weiter ausfüllte. Das war damals auch mein Empfinden, denn CÄSAR und seine Lieder nahmen auch bei mir eine Sonderstellung ein. KARUSSELL befand sich schon 1978 im Zenit des rockigen Lebens, als sie auf unserer Bühne standen. Links am Bühnenrand Wolf-Rüdiger Raschke mit seinen Tasten und auf der rechten Seite gegenüber, der ruhige Claus Winter am Bass, mit seiner Löwenmähne und Schnauzer im Gesicht. Im Hintergrund, auf einem stinknormalen Stuhl (!) sitzend, Jochen Hohl hinter dem Schlagzeug. Vorne an der Rampe standen von rechts nach links Bernd „Hula“ Dünnebeil, der stille Gitarrist sowie „McDonald“- Erfinder, Reinhard „Oschek“ Hut, der Mann mit der kristallklaren Stimme und zwischen ihm und Raschke unser CÄSAR, mit einem Allerweltshemd, in eine Präsent 20 – Hose gesteckt. Äußerlich alles andere als ein Superstar, sondern eher einer wie wir. So aufgestellt krachten sie ihre Songs in den alten Saal und der bebte bei den wuchtigen Keyboard- und Gitarren- Akkorden von „Ehrlich will ich bleiben (Lügenmale stehen keinem zu Gesicht)“. Das hätte das Credo der Band werden können. Ein Irrtum, wie sich später herausstellen würde. Wir aber wollten dieses „Ehrlich will ich bleiben“, von dem die Band in diesem wundervollen Lied singt. Als CÄSAR dann „Whisky“ intonierte und mit seiner Gitarre schmerzhaft in den Blues wühlte, war sie wieder da, diese Aura und dieses seltene Gefühl von einem, der über sich selbst sang und uns hätte meinen können. Dabei war dieser Mann nur wenige Monate älter als ich, hatte aber schon viel mehr in seinem jungen Leben durchgemacht. Nicht sehr viel anders erging es mir bei „Fenster zu“ und jener wundersamen Geschichte von „McDonald“, der keine Augen für die eigene Frau, wohl aber für die eintausend Schafe in seiner Herde hatte. Der Song war sicher der ganz große Wurf für „Hula“, den einfühlsamen zweiten Gitarristen in der Gruppe. Einer meiner absoluten Höhepunkte jenes Konzertes war „Entweder oder“, das mir viele Jahre später noch immer Gänsehaut bereitet. Da stimmte einfach alles! Die schweren Orgelkaskaden, die letztlich in wuchtig fragende disharmonische Akkorden einmünden, und darüber schwebt „Oscheks“ kristallklarer Gesang. Das Mittelteil geprägt von CÄSAR’s entfesselter Gitarre, die sich Duelle mit der von „Hula“ lieferte und letztlich in das Duett der beiden Blockflöten, CÄSAR und „Hula“ synchron, einmündet. Nachempfunden ist dieser wunderschöne Instrumentalpart der Vorlage „In The Court  Of The Crimsen King“ von King Crimsen. Aber wen stört das schon. Karussell nahm nicht nur solche Trends auf, sondern man versuchte Inspirationen zu nutzen, um Eigenes entstehen zu lassen. Ich denke, die aktuelle Band (mit Raschke Junior) täte gut daran, sich nicht an dieses Stück mit den beiden Blockflöten zu wagen. Doch das ist meine ganz persönliche Sichtweise, die niemand teilen muss. Schon damals gab es kein Konzert ohne „Wer die Rose ehrt“. Da war sie auch wieder, die Ahnung von einer weitergeführten Tradition, die wohl eher der Wunsch des Publikums war, als der der Musikanten auf der Bühne. Mein zweiter absoluter Höhepunkt, auch schon damals und zuvor bei der Klaus Renft Combo, war „Besinnung“. Es ist jene schmerzhaft, tief unter die Haut gehende simple Melodie, deren dunklen lyrischen Atem damals noch keiner spüren oder ahnen konnte. Wir waren alle noch jung an Jahren, hatten nur den Genuss des Lebens und unsere eigenen Ideen davon im Kopf. Sehr viel weiter dachte damals wohl niemand. Also ging’s weiter mit „Cäsar’s Blues“, den sich der Barde selbst auf den Leib geschrieben und in die Gitarrensaiten gezaubert hatte. Dieses „wie ein Musikant auf ’ner Regenwiese“, die Mähr vom Musiker ohne Geld in der Tasche und den vielen Mädchen an jedem Finger. Erst Jahrzehnte später würde uns CÄSAR’s Biografie Auskunft darüber geben. Der stand dort oben, wie immer seine Gitarre um den Hals hängend und in sich versunken, mit den Tönen im Reinen. Ein Bild, das sich mir schon bei der Klaus Renft Combo eingebrannt hatte. Ein Typ, wie das eines Rory Gallagher auf ostdeutschen Bühnen – frei von jeden Allüren. Einer von uns! Die Hütte war zum Bersten voll, bis in den Rang gefüllt und die Musiker von Karussell in allerbester Spiellaune. Die „Nachtigall von Leipzig“, die damals noch dichtes und nicht silbernes Haar hatte, sang sich bei „Autostop“ die Seele aus dem Leib und diesen Trotz, den jeder von uns schon mal, am Straßenrand stehend und wartend, gespürt hatte auch. Auch Karussell sang sich und uns viele solcher Themen aus dem Herzen und ganz sicher machte das die Faszination der Musik insgesamt aus. Die Songs getragen von exzellenten solistischen Leistungen, die jeder der Instrumentalisten auch Gelegenheit hatte, zu zeigen. Das Bass-Solo von Claus Winter, der meist still in der rechten Bühnenecke stand, war einfach nur geil. Einen leisen Gruß in den Rockerhimmel zu ihm und all den anderen, die dort inzwischen rocken. Alle waren sie als Solisten Könner und als Band spielten sie damals in der allerersten Liga, obwohl die dort mit ihrem Habitus nicht wirklich hinein passten. Nach dem Konzert hatten wir noch viel Zeit zum Quatschen, Zeit für ein gemeinsames Bier und auch Zeit für ein Gruppenfoto. Es ist eines der wenigen, das damals entstand. Als ich irgendwann, 30 Jahre später, in Dresden dem Techniker Klaus „Bemme“ Brömme das Gruppenfoto der Band, mit eigenem Hinterteil darauf zeigte, konnte der sich natürlich ein Grinsen nicht verkneifen. Diese Unbeschwertheit von damals, würde ich gern noch einmal spüren, denn die macht für mich persönlich den Unterschied zum Heute aus. Viel mehr war und ist es gar nicht und doch ist der Unterschied so wahnsinnig groß. Gefühle sind eben doch mächtiger und auch nachhaltiger, als gläserne Einkaufstempel und betonierte Autobahnen mit den modernen Autos, die über sie Richtung Horizont ins Nirgendwo hetzen. Gefühle kann man nicht mal fix „wegwenden“, sie sind da und anderen, die das nie erlebt haben und sich auch nicht vorstellen können, nur schwer zu vermitteln.