Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Inselurlaub auf Poel 2022
3. Fern-See-Gucker
Am Morgen hat der Wind einen Zahn zugelegt. Eine steife Brise fegt bei Sonnenschein über die Insel und treibt weiße
Wolkenschäfchen vor sich her. Immer wieder eine neue Herde von der See herüber. Uns bleibt gar nichts anderes übrig,
als wieder zu unserer Lieblingsbucht vor den Dünen zu fahren. Hier ist die steife Brise nur noch ein Brislein und der
Blick hinaus auf die See lädt zum Träumen ein. Man könnte Fernweh bekommen, wenn man weit draußen die Schiffe
beobachtet oder Segel entdeckt. Vom Segeltörn kenne ich beide Sichtweisen und deshalb träume ich mich hinüber nach
Langeland in Dänemark. Von dort, weit draußen hinter Fehmarn, ziehen dichte Wolken heran. Wir aber sitzen im
Sonnenschein und nur manchmal im Schatten einer Wolke. Auf den Sandbänken stemmen die Möwen sich gegen den
Wind. Manchmal pustet die nächste Bö einen der Vögel einfach weg. Dann steigt die Möwe in die Luft und versucht,
erneut einen Landeplatz auf der Sandbank zu finden. Ein Schauspiel, das wieder und wieder von vorn beginnt.
Zwei Surfer mit ihren Brettern haben sich eingefunden. Minuten später starten vor meinen Augen ein rotes und ein
blaues Segel zum Ritt über die Wellen. Der rote Surfer nimmt Kurs weg vom Strand und ist meinen Blicken schon bald
entschwunden. Das blaue Segel hingegen lässt sich parallel zum Strand treiben. Erst viel später entdecke ich auch das
rote Segel wieder. Ganz weit draußen zieht der Surfer einsam seine Bahnen. Zwei Stunden später wird er wieder an
dieser Stelle landen und seinen Ausflug beenden. Wie die beiden das machen, ist mir, im Angesicht von Wind und viel
Nässe, ein Rätsel. Ich würde mir da draußen den Arsch abfrieren, steife Finger bekommen und jämmerlich abtauchen.
Vor allem der mit dem roten Segel muss ein echter Könner sein, vermute ich.
Nebenan sind inzwischen auch zwei Kite-Surfer eingetroffenen. Zum ersten Mal kann ich ganz aus der Nähe erleben,
wie die sich vorbereiten und ihre Drachen „in Stellung“ bringen. Der steht senkrecht an den Strippen in der Luft,
während der Surfer mit ihm langsam und rückwärts zur Sandbank watet. Es ist faszinierend, den beiden zuzuschauen
und schon bald merke ich, dass die zwei vielleicht Anfänger sind, die erste Versuche wagen. Sie üben, auf ihr Brett zu
kommen oder aus der liegenden Position zu starten. Dabei gibt es auch komische Situationen zum Schmunzeln.
Natürlich aus sicherer Entfernung!
Dabei merke ich gar nicht, wie die Zeit vergeht und drei Stunden quasi „vom Winde verweht“ werden. Mir gefällt das
und genau deshalb bin ich auch hier: zum Gedanken verwehen. Nur wenige Besucher sind heute am Küstenabschnitt
beim Promenieren oder Steine suchen. Die meisten werden gemütlich irgendwo Kaffee schlürfen oder in Wismar durch
die Straßen schlendern. Ich bin als Fern-See-Gucker hier, will mir den Wind um die Nase wehen lassen, im Wasser
plantschen und will entschleunigen. In einem Restaurant am Hafen gibt es eine Riesenauswahl, vom Aal bis Scholle. Die
haben so viel davon, dass sie verkaufen müssen. Mit einem Stück Heilbutt im Beutel fahren wir zum Apartment, in dem
es bald verführerisch nach Fisch duftet.
Wenn der Morgen grau und öde aussieht, sollte man den Tag langsam starten. Ich bin Frühaufsteher, auch im Urlaub.
Also erlebe ich den nächsten Morgen live und ohne Farbe. Alles grau. Nach einem Kaffee ruft wieder leise das Bett;
widerstehen ausgeschlossen. Danach ist es nur später, aber wirklich nicht besser. Wir beschließen, zum Hafen in
Kirchdorf zu fahren. Dort soll ein Kunsthandwerkermarkt stattfinden. Wenn sieben Stände auf einem Parkplatz als Markt
bezeichnet werden dürfen, stimmt die Werbung. Heute gehen Mützen und Kappen als Kunsthandwerk durch. Es dauert
drei Minuten, dann habe ich alle Stände gesehen, keine Mütze gekauft und die Truppe Biker bewundert, die gerade ihre
Ausfahrt fortsetzen wollen. Einzig der Bootseigner, der heute seinen Kahn aus dem Hafenbecken auf einen Transporter
hieven lässt, wird für die Schaulustigen zur Attraktion des Vormittags. Danach ist das Pulver im Hafen verschossen und
ich bleibe ohne eine neue Mütze. Irgendwann finde ich die eine richtige Rock-Rentner-Kappe.
Nachmittags hängt immer noch trübe Stimmung, mit den dazu passenden Wolken, am Himmel. Wenn schon keine neue
Mütze nach meinen Vorstellungen, dann wenigstens ein Vollbad in der Ostsee. Der Wind kommt von See, die Wolken
auch, es wird also ein Vergnügen werden. Als sich der Blick hinter den Dünen öffnet, liegt eine Ostsee vor mir, wie sie in
den vergangenen Tagen nicht zu erleben war. Alle Sandbänke sind verschwunden, abgetaucht. Die Wellen treffen den
Strand viel heftiger und er ist schmaler, als in den Tagen zuvor. Mein Wetter – Badewetter.
Wenige Minuten später steige ich in die Wellen. Die kommen mir entgegen und verhindern, dass ich mit trockenem
Oberkörper, wie gestern noch, bis zur nächsten Sandbank gelange, die nicht mehr zu sehen ist. Dahinter tauche ich ein,
die nächste Welle hätte mich ohnehin überrollt. Das Wasser ist sehr angenehm, aber fühlt sich eigenartig cremig an, als
würde sich ein Film über die Haut verteilen. Mir egal, ich bin weit und breit der einzige Badende und ich fühle mich
sauwohl dabei. Ich habe gerade das Gefühl, wie ein altes Walross mit den Wellen zu reiten und alles andere vergessen
zu können. Pudelwohl & Spaß dabei. Im Juli und August kann jeder hier baden, mitten im September, und den Oktober
fest im Blick, ist das Ostseebad nichts für Warmduscher. Der Wettergott bleibt mir während meines Badevergnügens
gewogen. Die dunklen Wolken am Horizont ziehen landeinwärts oder bleiben weit draußen. Erst am Abend wird das
Auto vor dem Fenster mit einer himmlischen Dusche gereinigt. Was für ein herrlicher Tag!
Fortsetzung
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