Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Zur Achtermannshöhe im Herbstlicht
06.10.2022
Der Berg ruft, ich kann ihn hören. Diese Verlockung, hinauf in den Harz zu fahren, ist groß. Der Herbst beginnt gerade,
die Natur ringsum mit frischen bunten Farben auszumalen. Bei Sonnenschein pur und strahlend blauen Himmel
erscheint er mir heute besonders verschwenderisch. Die Achtermannshöhe, mit 925 Metern einer der höchsten Kuppen
im Harz, wollten wir schon einmal erklimmen, doch Feuer in Brockennähe machte uns einen Strich durch das Vorhaben.
Stattdessen wurden wir zu Beobachtern bei der Brandbekämpfung vom Parkplatz Königskrug aus. Das war genau vor
vier Wochen, doch heute möchte ich endlich diesen Haufen aus Granit, mit einer schroffen Kuppe aus Hornfels,
erklettern. Es ist früher Nachmittag, als wir auf den Parkplatz vom Königskrug rollen.
Nur wenige Schritte hinter dem gemütlichen Gasthaus, das mit Werbung für einen Riesenwindbeutel lockt, beginnt der
Weg in die Natur des Nationalparks. Es ist wie Eintauchen in eine andere Welt. Das Auge kann sich nun entscheiden, ob
es totes graues Holz oder junge Bäume mit bunten Farben sehen möchte. Die Flora ist nämlich schon längst wieder
dabei, sich zu regenerieren. An einem Wegweiser stehen wir vor der Entscheidung, einen schwierigen Weg zum
Achtermann oder doch lieber den etwas längeren, nicht so schweren zu wählen. Die Wahl fällt auf den etwas kürzeren,
aber schwierigen Weg. Eine kluge Wahl, wie wir beim Rückweg noch spüren werden. Der schwierige führt zunächst in
einen Bereich mit vielen hohen kahlen Stämmen, die wie eine graue Palisade am Wegesrand wirken. Über kleine spitze
Steine geht es stetig bergan und schon bald rinnt der Schweiß auf dieser Schotterpiste. Der Planet drückt, das Herz
pumpt und meine Lunge saugt Unmengen frischer Luft in den Körper. Ich erreiche schnell Betriebstemperatur und bin
voll Optimismus, als ein weiterer Wegweiser nach rechts zeigt.
Im ersten Augenblick kann ich gar keinen Weg erkennen. Da liegen große Steine im abgebrochenen Holz und
dazwischen schlängelt sich ein dunkles Etwas nach oben. Das ist kein Pfad, sondern ein in die Höhe führender
Hexenstieg über Stock und Stein und Strauch. Plötzlich weiß ich, warum dies der schwierige Weg genannt wird. Das
Gehen endet und das Suchen nach festem Untergrund beginnt. Von jetzt auf gleich bin ich inmitten wilder Natur und
komme mir wie ein Abenteurer vor. Der Geist eines Jugendlichen erwacht plötzlich wieder und entdeckt Freuden, die ich
schon längst vergessen glaubte. Jetzt bin ich Räuber, Scout und Pfadfinder in einem, der sich vorsichtig von Stein zu
Stein tastet, um ja keine Spur zu hinterlassen. Rings um mich Natur, mal in roter, in gelber und in grüner Färbung.
Dazwischen rinnt Wasser den Berg abwärts und zwischen Moos und Flechten wachsen hier sogar Pfifferlinge. Wäre dies
nicht ein Nationalpark, ich käme glatt in Versuchung. Schritt für Schritt taste ich mich weiter, steige von Stein zu Stein
und fast merke ich nicht, wie ich dabei immer höher klettern muss, weil der Steinpfad immer steiler und unwegsamer
wird. Das Ende nicht in Sicht, nur blauer Himmel lockt, je höher ich steige. Das hier ist ein natürliches Auspowern ganz
ohne Gebühren. Höhenluft und einen fantastischen Ausblick, je höher man steigt, gibt es gratis dazu.
Nur ein einziges Mal kommen mir zwei von oben entgegen. Kurze Unterhaltung und dann der Hinweis, dass weiter oben
eine Schutzhütte wäre. Das motiviert mich noch einmal neu. Also weiter über Steine und Wurzeln steigen und stets den
Wanderstab in der Hand, um nicht abzurutschen. Zwei Felsbrocken lassen mich hoffen, dem Ende des Steigens und
Schwitzens schon nahe zu sein. Dahinter aber wartet schon der nächste Abschnitt darauf, von mir erobert zu werden.
Als ich mich umdrehe, muss ich über die herrliche Aussicht staunen. Der Blick reicht weit und durch die kahlen grauen
Stammreste ist auch das Plateau vom Wurmberg (971 m) zu sehen. Dort waren wir auch noch nicht, wird sicher noch.
Wir gehen die letzten hundert Meter durch wilde, kantige Natur, stolpern über Steine, vorbei an Resten alter Bäume,
zwischen denen neues Gründ hervor sprießt. So wild und ursprünglich entdeckt man den Harz nur selten und sehr weit
oben. Man kann sich reich beschenkt fühlen und frei von jeglicher Last, ein Glücksgefühl, hier angelangt zu sein.
Mein Rücken ist inzwischen klatschnass geschwitzt und endlich sehe ich vor mir die Kuppe des Berges aufragen. Ein
einziger Haufen Stein und Klamotten hebt sich vor der Sonne ab. Am Fuße entdecke ich auch die Schutzhütte. Da
drinnen der Stempelkasten mit der Nummer 12 und der ziert nun auch das Wanderheft – geschafft. Nur einen Atemzug
Pause auf einer Bank und dann steige ich noch auf diesen letzten Brocken aus Stein. Nicht Stufe für Stufe, sondern
wirklich ein Stein nach dem anderen will bis zum Gipfel bezwungen sein. Wenigstens gibt es ein Geländer für den Halt
sowie als Schutz. Dann bin ich oben. Ein kräftiger Wind pustet mir entgegen. Der Achtermann ist bezwungen und ich
bin froh, es bis zum Gipfel geschafft zu haben. Dieses Gefühl teile ich mir mit zwei Hamburger Jungs, die auch so
freundlich sind, diesen Erfolg als Foto zu dokumentieren. Mein Glücksbringer ist stets dabei, seit Lily uns nicht mehr
begleiten kann.
Was für ein Panorama-Rundblick, was für eine grandiose Aussicht! Ich bin wieder einmal überwältigt und genieße diesen
Moment, versuche ihn festzuhalten. Quasi gegenüber schaue ich auf den Brocken, auf dem gerade die Harzbahn
ankommt. Das Auge schweift nach „nebenan“ zum Wurmberg, der ein wenig höher ist, als mein Standpunkt.
Dazwischen sind die Spuren des Brandes von vor vier Wochen zu erkennen. Links vom Brocken sieht man die beiden
riesigen Sendermasten von Torfhaus und hinter mir bestaune ich den ganzen Südharz bis in die Ebene hinein. Mir „zu
Füßen“ das graue Band der Piste zwischen Braunlage und Torfhaus sowie das Terrain, durch das ich aufgestiegen bin.
Wäre es nicht so frisch und windig, man könnte hier bis zur Dämmerung verweilen und staunen. Der Abstieg gestaltet
sich, zwischen all diesen Steinen, schwierig für mein Kunstgelenk. Nur für einen Moment stelle ich mir vor, wie reizvoll
diese Landschaft erst im Winter unter einer dicken Schneedecke aussehen muss. Für mich wäre das wohl nichts mehr.
Einer der Wanderer, der das schon erlebt hat, schwärmt uns davon, weiß aber auch zu berichten, wie gefährlich glatt
der Abstieg von der Kuppe dann ist. Es dauert eine Weile, dann bin ich wieder glücklich auf sicherem Boden. Zeit für
einen Snack.
Zurück wählen wir die einfache Route, die im weiten Bogen um den Achtermann zum Ausgangspunkt führt. Eigentlich
handelt es sich um zwei extrem lange Geraden, auf denen wir nun abwärts wandern. Es läuft sich gut und dennoch
spüre ich bald jeden Schritt im Rücken. Von wegen, bergab ist leichter zu laufen und dann diese endlos lange Gerade,
die einfach nicht zu enden scheint! Das wirkt ziemlich demotivierend beim Laufen, erst recht, wenn wir diesen Weg zum
Gipfel gewählt hätten. Man meint, auf der Stelle zu treten, weil das Ende weit vorn, einfach nicht näher zu rücken
scheint. Zu unserem Glück ist die Natur am Wegesrand wieder sehr abwechslungsreich und beim Blick Richtung Brocken
erleben wir, wie sich dort zwei Züge der Brockenbahn am Haltepunkt Soldatenstein begegnen.
Die letzten zwei Kilometer führen wieder durch die von Unwetter und Borkenkäfer geschädigte Natur. Vorbei an skurrilen
Baumresten, die wie Dämonen aussehen. Ich entdecke Baumstümpfe, auf denen Flechten wuchern und jede Menge
Pilze im Unterholz. Wir laufen durch Reste des einstigen dichten Waldes, aber auch an vielen jungen Bäumchen vorbei.
Hier entsteht bald ein neuer, ein anderer Wald. Schon in wenigen Jahren wird man die Narben unserer Tage nicht mehr
erkennen. Es ist schön, dies zu beobachten und dann liegt das Gelände, mit der Achtermannshöhe und den kahlen
Baumstämmen, hinter uns. Der Straßenlärm am Achtermannshäuschen empfängt den glücklich erschöpften Wanderer.
Auf den Riesenwindbeutel im Königskrug verzichten wir diesmal. Noch ein Blick zurück, am „Schierker Feuerstein“
entlang zum Achtermann und Brocken, dann rollen wir an Torfhaus und am Blitzer vorbei in die Ebene. Jetzt wird es
bald richtig Herbst.