Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Märzbecher im Zehling und Gegensteine
12.03.2024
„Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt...“ Diese Zeilen und die dazu gehörige Melodie sind über einhundert Jahre
alt und gehen auf ein noch älteres Kalender- bzw. Bauernlied zurück. Ein Lied, das ich als Kind lernte und nie wieder
vergaß, wie auch vieles andere Schöne aus jener Zeit nicht. Von einer Blume namens Märzbecher erfuhr ich erst viele
Jahre später, nämlich im Harz. Im Vorharz soll es ein Areal geben, wo die größte zusammenhängende Menge dieser
geschützten Pflanze zu finden sein soll. Ich nahm es gern zur Kenntnis und gut – bis gestern. Da wurde mir freundlich
mitgeteilt, dass eine Exkursion nach Ballenstedt geplant sei. Nahe den Gegensteinen, einem Teil der Teufelsmauer,
würden jetzt die Märzbecher im Zehling, einem privaten Waldstück, wunderschön blühen.
Bis Ballenstedt fährt man von Halberstadt eine knappe halbe Stunde. Am Ortseingang weist ein Schild nach links zu den
Gegensteinen, den Beginn der Teufelsmauer. Eine Minute später steht das Gefährt auf einem Wiesenparkplatz mit Sicht
zum kleinen Gegenstein. Das aber auch nur, weil die Bäume im März noch kein dichtes Blätterdach ausgebildet haben.
Wo der Weg hoch zu den Gegensteinen führt, biegt man nach rechts ab und steht schon bald am Beginn eines
schmalen Waldweges, der in dieses private wilde Laubgebiet führt. Vom Weg abweichen oder gar Pflanzen mitnehmen,
ist strengstens verboten – der Märzbecher steht unter Naturschutz! Er wächst nur in solchen urbanen Arealen und nicht
im Blumentopf.
Schon nach wenigen Schritten wähnt man sich in einer völlig anderen Welt. Um diese Jahreszeit wirkt das Waldstück
wie tot, abgestorben. Nackte Bäume recken sich in den trüben Himmel und mittendrin schlängelt sich ein Rinnsal durch
das Unterholz und den Morast. Dazwischen modern abgefallene Äste und Baumstämme vor sich hin. Auf halber Höhe
schlängelt sich der schmale Weg da durch. Mir ist, als würde jeden Augenblick mein alter Freund Rinderich auftauchen.
Stattdessen entdecke ich die ersten weißen Glöckchen im Grün und Schritt für Schritt wachsen sie dichter beieinander.
Ein Naturteppich breitet sich fast flächendeckend zwischen den Bäumen aus. Ein faszinierend schöner Anblick, der nur
durch das fehlende Sonnenlicht, ausgerechnet heute, etwas eingetrübt wird. Der Weg entpuppt sich als Sackgasse, vor
einer Absperrung aus Holzbohlen ist Ende Gelände. Ein älterer Herr mit Hund folgt uns die ganze Zeit bis hierher. Auf
meine Fragen antwortet er nur wortkarg und etwas mürrisch. Als ich mich auf dem Rückweg umdrehe, verschwindet er
gerade im Wald. Vielleicht ist er der Eigentümer und Wächter dieser Märzbecherkolonie in einer Person. Dass ich einen
Harzstein hier gelassen habe, weiß er aber nicht. Pssst.
Wieder draußen, wendet sich der Blick hinauf zum Gegenstein. Dorthin könnte man auch noch gehen, so die einhellige
Meinung. Auch ich habe Lust, diesmal das Stück Teufelsmauer von der anderen Seite anzugehen, allerdings nicht in
ihrer ganzen Länge. Nach schwitzen auf schmalen Pfaden sehnen sich meine Knochen heute nicht. Nur mal schauen
und dann gucken, denke ich. Dann stehe ich vor diesem Riesenbrocken, blicke am Gestein nach oben, durch ein
Guckloch im Teufelsstein, und dann ins Grau der Landschaft. Die Steine des Teufels ragen nämlich stolz auf einer
Hügelkette 230 Meter über dem Meeresspiegel, den man natürlich (heute) nicht sieht. Ein imposanter Blick in das
Harzvorland ist es allemal. Der Wind weht frisch vom Harz herüber und hat dunkle Wolken Schlepptau. Egal, den halben
Kilometer bis zum großen Gegenstein, Steinschiff genannt, gehe ich jetzt doch noch. Was solls.
Man quält sich auf schmalen, ausgetretenen Pfaden sowie über lästiges Gestein, mal hoch, mal runter, bis man den
Hügel erklommen hat, auf dem das Steinschiff empor ragt. Der Teufel hat auch hier eine Menge riesiger Brocken
übereinander geschmissen und einfach liegen bzw. stehen lassen. Diesen Teil der Teufelsmauer kann man allerdings
auch besteigen. Man kann über die Aufbauten des Steinschiffes gehen, sich am Geländer festhalten und schließlich
oben am Mast, der eigentlich ein Kreuz darstellt, seinen Blick rundum in die Gegend schweifen lassen. Das habe ich
schon einmal gemacht, allerdings im Sommer (
HIER
) und genau so mache ich es auch.
Oben angekommen, treffe ich auf drei Backfische, die wohl vor mir an Bord „sprangen“. Sie verlassen das Steinschiff,
ich bleibe. Jedenfalls für einen Augenblick, denn es zieht inzwischen wie Hechtsuppe. Auch die dunklen Wolken nähern
sich bedrohlich. Das Gefühl, auf einem riesigen Steinkahn zu stehen, ist ziemlich überwältigend. Nur Wasser und Meer
fehlen weit und breit, alles voll mit Landschaft und zu Füßen des Steinschiffes liegt der Flugplatz von Ballenstedt. Eine
Maschine steigt gerade auf. Dort erlebten wir vor Jahren schon einmal einen öffentlichen Flugtag – überwältigend
(
HIER
).
An der Verankerung des Kreuzes hinterlasse ich noch einen Harzstein mit kleiner Brockenhexe. Dann gehe ich über die
„Kommandobrücke“ mit der „Rehling“ wieder zurück und steige über eine verdammt steile „Gangway“ runter vom
Felsenkahn. Da oben zu stehen, ist ein besonderes Erlebnis, darunter ist es aber sicherer, denke ich. Noch ein Gruß zum
Kreuz des Fürsten von Anhalt-Bernburg, der es 1863 errichten ließ, und dann stolpere ich vorsichtig wieder den Hügel
hinab und am kleinen Gegenstein vorbei. Auf den letzten Metern zum Parkplatz kommt mir ein Paar mit einem kleinen
Hund entgegen – LILY, ist mein erster Gedanken. Sieht aus wie eine Re-Inkarnation meiner kleinen Hundelady, wer weiß
das schon (
HIER
)!? Für den Rest des Weges dreht sich alles um eine kleine, süße und verwöhnte Hundedame, die ich
grad besonders vermisse.