Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Die Gegensteine der Teufelsmauer
17.07.2022
Wieder einmal ein Sonntag. Tags zuvor hatte ich einen Konzertbesuch in Torgau geknickt. Zu weit, zu heiß, zu müde.
Erstaunt spüre ich, dass der Körper nicht mehr alles mitspielt, was sich der Kopf zuvor ausgedacht hatte. Sonntags aber
signalisiert mein Körper dem Kopf, dass er wieder kann und möchte. Die Wahl fällt auf Ballenstedt, die Roseburg mit
dem Park sowie auf die Gegensteine. Die bilden den östlichen Abschluss der Teufelsmauer und stehen schon lange auf
meiner Wunschliste. Vorher jedoch möchten wir noch in Oppenrode den Bismarckturm besteigen. Wir starten
vormittags, es soll nämlich heiß werden.
Ballenstedt kenne ich durch mindestens zwei Konzerte im Schlosstheater. Heute fahren wir durch das kleine Städtchen
hindurch und landen direkt dahinter in Oppenrode. Vor der Kirche führt eine schmale Nebenstraße bis zum Waldrand.
Unterhalb des Stahlsberg beginnt der kurze, aber spürbare Einstieg in den Laubwald, der den Hügel bedeckt. Ein
schmaler Pfad windet sich ziemlich steil nach oben, wo der Bismarckturm auf 270 Meter Höhe steht und, nach dessen
Besteigung, mit einem herrlichen Rundblick lockt. Zu Fuße des Turms wird das Wanderheft mit dem Stempel Nr. 199
verziert, meine Füße steigen danach die rund 50 Stufen bis zur Aussichtsplattform hinauf. Es hat sich gelohnt. Was für
eine schöne Aussicht in das Harzvorland. Hinter Ballenstedt grüßen die Gegensteine, unser nächste Ziel nach dem
Abstieg vom Berg.
Zurück und wieder durch Ballenstedt. Vor dem Ortsausgang nach rechts abbiegen. Am Stadtrand, wo die Felder
beginnen, ist Endstation für die Blechkarosse. Von hier ab wird gelaufen. Ein Feldweg biegt nach links ab. Wir gehen auf
einer Allee, unter von Vögeln abgeernteten Kirschbäumen hindurch. Ab und an blinzelt einer der Gegensteine über das
abgeerntete Feld durch die Bäume hindurch. Meister Lampe hoppelt im Zickzack über die verbliebenen Stoppeln. Weit
und breit keine Menschenseele, nur die Stille der Natur. Schritt für Schritt nähern wir uns den Gesteinsformationen, die
langsam beginnen, in die Höhe zu wachsen. Am Ende der Kirschbaumallee ist es wie in Weddersleben oder
Blankenburg, am Großvaterfelsen, auch: man muss einen Hügel besteigen, um dem gigantischen Brocken näher zu
kommen.
Über den Kamm dieses Hügels führt ein schmaler Trampelpfad durch eine Obstplantage und plötzlich stehe ich vor
diesem Koloss aus Fels und Gestein. Mächtig, gewaltig und doch irgendwie sehr graziös! Zu Fuße dieses wuchtigen
Steindings komme ich mir winzig vor. Ich schaue in die Höhe und sehe ein Kreuz vor blauem Himmel. Zwei haben
soeben diese steile Wand erklommen. Sie packen die Seile und andere Dinge ein, um auf der anderen Seite, im prallen
Sonnenlicht, gleiches noch einmal zu wagen. Mitten in der Wand klafft eine Lücke. In der Enge führen in den Stein
gehauene Stufen steil in diese Wand hinein. Na prima! Zum Glück gibt es ein Geländer aus Metall, an dem ich mich
Stück für Stück in die Höhe hieven kann. Jetzt machen sich die sieben Dekaden und der Hüftersatz deutlich bemerkbar.
Zwar spüre ich keine Schmerzen, dafür Grenzen, über die ich mich zwinge. Auch eine Möglichkeit, den Fels zu besteigen
und glücklich, mit einem verschwitzten Lächeln im Gesicht, anzukommen. Hier weht ein frischer Wind, der die Haare
zerzaust und den Schweiß trocknet. Der Lohn für diese Schinderei ist ein Blick, den man nicht kaufen kann:
Harzvorland, die Berge, der Harz und in der Ferne, der Brocken. Auf 243 Meter über Null setze ich meinen Arsch auf den
Stein unterm Kreuz und bestaune alles, was ich von hier erblicken kann. Einfach nur wunderschön!
Von oben sieht alles winzig aus. Mein Blick über Ballenstedt endet an den aufsteigenden Berghängen vom Harz. Schaue
ich oben am Fels entlang, entsteht der Eindruck, auf einem Schiff zu sitzen, das die Landschaft gen Osten durchpflügt.
Am Steuer stehe ich, vor mir der Bug und hinter mir zieht sich eine dichte „Gischtspur“ aus Gestrüpp bis zum kleinen
Gegenstein, der sich hinter Baumkronen duckt. Noch weiter dahinter der Harz sowie der Brocken im Dunst. Eine
Illusion, aber gar nicht so weit hergeholt.
Beim Platzwechsel von Steuerbord zum Backbord, erscheint ein völlig anderes Bild. Ich schaue auf den Flugplatz von
Ballenstedt und ein weit ausgedehntes Gelände zu meinen Füßen. Hier findet jedes Jahr, Anfang Juli, das beliebte
Rockharz-Festival statt. Ein Muss für Heavy-und Speed-Metal Fans. 2023 wird man hier das 30jährige Jubiläum des
Events feiern. Mal abwarten, wie mir dann ist und was Corvid zu sagen haben wird. Hinter dem Flugplatz dehnt sich die
Ebene über Quedlinburg hinaus. Ich sehe Burg Regenstein, den Hoppelberg, die Thekenberge und dahinter auch
Halberstadt. Viel interessanter aber ist es, den startenden und landenden Kleinflugzeugen unter mir zuzuschauen. Ein
Geschehen wie im Sandkasten, klein und winzig. Vor Jahren haben wir den Flugtag mit Flugshow besucht, die
Flugzeuge beim Starten und Landen sowie das Fallschirmspringen erlebt. Heute könnte ich stundenlang hier am Kreuz
sitzen, die Zeit verplempern und mich sauwohl dabei fühlen. Doch genau das möchten andere auch. Wir räumen die
engen Plätze unter dem Kreuz und steigen wieder ab. Langsam, ganz langsam!
Zwischen dem großen Gegenstein, dem schwarzen „Piratenschiff“ mit dem Kreuz oben drauf, und dem kleineren, windet
sich ein schmaler Trampelpfad in Kurven und Schleifen über kleinere Hügel am Hang entlang. Ein paar hundert Meter,
die es in sich haben. Kaum hat man einen Hang erklommen, geht es auf der anderen Seite wieder steil und über Geröll
abwärts. Die Chance, mit dem Hang Bekanntschaft zu machen ist hoch, sogar sehr hoch. Mein Wanderstab ist zu Hause
geblieben, beim Besteigen dieser Felsen wäre er nur hinderlich. Trotzdem erreichen wir den kleinen Gegenstein, der mir
deutlich größer vorkommt, aus der Ferne und nah dran auch. Ein gewaltiger schwarzer Felsen reckt sich vor mir dem
Blau des Himmel zu. Ich bin fasziniert und erstaunt zugleich. Da man ihn nicht besteigen kann, wollen wir zu Fuße des
felsigen Naturwunders eine Rast eingelegt – die Pause mit Apfel, Ei und Wasser hat sich bewährt.
Danach treten wir den Rückweg an. Diesmal bleiben wir im unteren Bereich des Hügels, von wo man den großen
Gegenstein noch einmal aus anderer Perspektive bestaunen und das „Piratenschiff“ beim „Wellenreiten“ im Grünen
bewundern kann. Ich hoffe, diesen imposanten Anblick werden auch noch unsere Enkel bewundern können, während
wir wieder unter Kirschbäumen an gelben Stoppelfeldern entlang gehen, der aufgeheizten Bleckkarosse entgegen.
Die bringt uns zum Ortsausgang von Ballenstedt, zu einem Parkplatz unterhalb eines felsigen Hügels. Über uns und der
Straße befindet sich die Roseburg, eine romantische Burganlage mit Ecktürmen und Zinnen sowie Wehrgängen
dazwischen. Da soll es auch ein Cafè geben, sagte man uns. So ein heißes Getränk wäre mir als krönender Abschluss
gerade recht.
Nur ein paar Minuten später stehen wir vor dem Torhaus. Ein Wächter empfängt uns mit freundlichen Worten und bittet
die Besucher, einzutreten und zu verweilen. Im sehr kleinen Cafè hinter dem Torhaus finden wir auf den Zinnen noch
ein freies Plätzchen. Gäste kommen, gehen oder wollen die Burganlage mit Park besichtigen. Jedoch der Blick in die
Tageskarte ist ernüchternd: Getränke, Kaffee und Eis. Unsere Vorstellung, ein Stück Kuchen sowie eventuell sogar eine
Bockwurst zum Kaffee zu bekommen, löst sich beim Lesen in Wohlgefallen auf. Von anderen Gastlichkeiten im Harz sind
wir anderes gewöhnt. Wanderer und Gäste müssen sich hier mehr oder weniger mit Flüssignahrungen begnügen. Nach
der ersten Enttäuschung ist der Entschluss, weiter und nach Hause zu fahren, schnell gefasst. Reichliche fünf
erlebnisreiche Stunden liegen hinter uns. Diese fünf Minuten im Turm-Cafè sind längst vergessen, als wir zu Hause ein
„Schälchen Heeßen“ genießen. Sonntag kann so schön sein!