Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Bockwurst an der Steinernen Renne
07.09.2023
Es war nur eine Idee und die hatte ich schon seit einigen Jahren. Mit Lily waren wir zwei Mal ganz nah dran, mussten
aber im Interesse der Kleinen, und meiner Hüfte, zurückstecken. Damals waren Berge und Täler noch dicht bewaldet.
Inzwischen sieht es im Nationalpark anders aus, aber die Wanderziele existieren noch. Manchmal kann man sie sogar,
Borkenkäfer und Dürre sei „Dank“, schon von weitem sehen. Heute soll endlich diese Idee Realität werden, das
Gasthaus „Steinerne Renne“ (520m) Besuch von uns bekommen.
Wir starten am Wanderparkplatz Drei Annen Hohne in den Nationalpark hinein und haben schon bald das Natur-
Erlebniszentrum Hohnehof (rund 600 Höhenmeter) erreicht. Gegenüber weidet eine Herde von Harzrindern auf der
Waldwiese, die sich sehr verändert hat. Eine Herde brauner Harz-Rindviecher erblicke ich dort zum ersten Mal. Den
Hohnehof lassen wir links liegen und wandern dahin weiter, wo einst dichter Wald stand. Nur wenige kahle Baumreste
erinnern daran, doch am Boden drängt bereits überall frischer Mischwald nach und er wächst. Darüber hinweg streift
mein Blick weit über die Berge. Hinter mir ragt der Höhenzug des Hohnekamms, mit Hohnekopf und Leistenklippe, auf.
Da oben stand ich vor einem Monat und schaute hinunter, wo wir jetzt wandern (
HIER
). An einem Rastplatz mit einer
alten Postmeilensäule biegen wir ab und gehen den Bergen entgegen.
Der Weg führt bergan und biegt schließlich in grünen schattigen Fichtenwald hinein. Es ist angenehm frisch und es läuft
sich gut. Für Minuten fühle ich mich, als hätte es weder Borkenkäfer noch Stürme im Harz gegeben. Die Illusion ist für
eine Weile perfekt, bis sich wieder abgestorbene Bäume in dieses Idyll einmischen und manchmal der Blick auf die
Hänge gestattet ist. Mir scheint, als hätte ein Riese hier mit riesigen Gesteinsbrocken gespielt und sie überall einfach
liegen gelassen. Weiter oben türmen sich diese Brocken zu einer Art unvollendeter Pyramide übereinander, auf der
kleine Bäume wachsen. Da irgendwo müssen drei besonders geformte Steine übereinander stehen – die Dreikäseklippe.
Leider kann ich sie vom Wege aus nicht erkennen und dort hinauf kraxeln möchte ich nicht. Imposant ist der Steinberg
auch von unten anzusehen, doch dann verschluckt uns wieder der dichte Wald. Der Weg ist nur ab und zu von großen
Steinen gesäumt, die der Riese bis runter gekullert hatte. Eine Steingruppe ist einem Forstrat Eschwege gewidmet, wie
auf einer Info-Tafel nachzulesen ist. Wir wandern weiter an einem steinernen Wegweiser und aufgestapelten
Baumstämmen vorbei, immer der Nase nach.
Als der Wald endet, haben wir eine riesige Freifläche vor und eine weitere Steinwüste neben uns. Die Arnoldklippe und
eine Wegkreuzung sind erreicht. Man kann direkt zum Ottofelsen abbiegen oder zum Gasthaus Steinerne Renne
geradeaus weiter wandern. Eine Sitzgruppe lädt zur Rast, wir nehmen an. Am Rand hat ein Ranger-Fahrzeug geparkt.
Als ich nachfrage, erklärt eine der Damen, dass man nach Spuren von Eidechsen, Blindschleichen und Kreuzottern
suche, die hier zwischen den Steinen leben könnten. Inzwischen brennt die Sonne erbarmungslos, deshalb wandern wir
Minuten später weiter auf der schnurgeraden Waldpiste. Wir scheinen den höchsten Punkt erreicht zu haben, denn von
nun an geht’s wieder abwärts. Radfahrer überholen uns rasend schnell oder kommen uns mühsam die Pedale tretend
entgegen. Sie huschen an den vielen Details und oft erstaunlichen Ausblicken einfach vorüber. Auf diese Weise
transformieren sie die Hatz ihres Alltags in die Tour durch die Natur. Das wäre ganz und gar nicht mein Ding!
Die Wanderpiste zieht sich lang über die Bergebene bis zu einer Kurve. Unter einer Brücke plätschert ein Bächlein
gemütlich hindurch: die Holtemme. Die Steinerne Renne kann also nicht mehr weit sein. Jetzt ist auch ein fantastischer
Blick zum Brocken frei, von dem ich mich eine Weile verzaubern lasse. Hinter der Kurve blinkt ein rotes Dach durch die
Bäume. Es ist nicht mehr weit, denke ich, doch als wir es erreichen, stehen wir vor einem alten Forsthaus, das,
zumindest derzeit, ungenutzt scheint. Das Gasthaus zur Steinernen Renne müssen wir erst noch finden. Wir folgen dem
Weg weitere Kurven ins Tal abwärts und stehen schließlich, fast pünktlich zur Mittagszeit und nach drei Stunden
wandern, vor unserem eigentlichen Tagesziel. Nach rund sechs Kilometern spüre ich nun auch meine Beine und bin
daher froh, eine Pause einlegen zu können. Dass wir auch wieder zurück müssen, blende ich bewusst aus.
Wider Erwarten ist wenig los. Wir finden einen „Balkonplatz“ am Wasser. Erst einmal durchatmen und die Beine lang
machen. An der Durchreiche empfangen wir kalte Cola plus warme Bockwurst mit Senf a la Steinerne Renne. Die
schmeckt und die Cola tut gut. Erst jetzt kann ich diesen idyllischen Flecken auf halber Brockenhöhe genießen. Das
Rasthaus mit Pension steht auf einem Felsvorsprung über der Holtemme, die sprudelnd über die Steinklippen stürzt.
Von einer Terrasse, auf der wir sitzen, und von einer Holzbrücke aus, kann man dem Naturschauspiel zusehen. Es ist ein
Postkartenmotiv, das einem alle Gedanken an die Welt hinter den Bergen vergessen lässt. Hier ist man mit dem Wasser,
der Natur und dem Himmel darüber allein, abgeschirmt. Nur meine Bockwurst erinnert an die Verbindungen zur
„Außenwelt“ hinter den sieben Bergen und dem langen Tal. Wir sitzen und schauen, andere kommen an oder gehen
schon wieder. Viele Plätze sind noch frei, warum auch immer. Es ist gut so – nur Stille und das Rauschen des Wassers
als Lohn für die Wanderung an diesen zauberhaften Ort.
Eigentlich hätten wir den Weg zum alten Forsthaus zurück nutzen und dadurch eine große Schleife in Kauf nehmen
müssen. Ein unscheinbares Schild weist einen steinigen Trampelpfad als Abkürzung auf der anderen Seite, gleich hinter
der Holzbrücke, aus. Den nehmen wir, frisch gestärkt und ausgeruht. Der Blick von der Brücke auf das Gasthaus
präsentiert noch mal die Faszination dieses Ortes und dann steigen wir in den steilen, steinigen Hang. Eine Minute
später rast meine Pumpe, ich schwitze und die Luft wird auch knapp. Ganze zehn Minuten quälen wir uns in kleinen
Abschnitten aufwärts, durch viel Gestrüpp und über klobiges Gestein. Von der schönen Aussicht ins Tal der Steinernen
Renne erhalte ich nur einen flüchtigen Eindruck und der weite Ausblick zum Brocken kann mich gerade auch nicht
wirklich begeistern. Ich bin fix und foxy, als wir oben ankommen. Das Potential unserer Rast ist schon wieder
aufgebraucht, meine Knie weich, aber die Abkürzung hat sich gelohnt, wie ich von dieser Höhe überblicken kann. Wir
haben keine Wahl, müssen dem Parallelweg zurück folgen.
Von nun an wandern wir durch kahles Gelände. Kein Wald mehr, kein Baum, kein Schatten und keine Bank weit und
breit. Nur brütende Hitze und ein steiniger Wanderweg, der stetig leicht aufwärts führt. Stapel mit Holzstämmen und
Baumstümpfe, wo einst Wald stand, säumen den Weg, der nicht enden will. Etwas entfernt ist der kleine Zwilling vom
Ottofelsen zu sehen. Endlich, auf dem obersten Niveau angekommen, breitet sich eine Mulde vor uns aus, an deren
Hang eine Felsformation zu sehen ist: der Ottofelsen. Der Weg schlängelt sich herunter, wo damals dichter Wald wuchs.
Wir waren auf gleichem Weg, in anderer Richtung, mit Lily unterwegs und vom Felsen war nichts zu sehen. Im Wald
versteckt, entzog sich das 36 Meter hohe Naturdenkmal aus Granitgestein den Blicken der Neugierigen (
HIER
). Nur ein
schmaler Trampelpfad in den Wald ließ erahnen, wo der Fels sein könnte. Den steinigen Trampelpfad bis zum
Granitblock kann man heute gut sehen. Da will ich noch einmal hin und hoch, sehen, was der Rundblick offenbart.
Die Bilder von 2026 (unten) und die aus dem Heute (oben) im direkten Vergleich.
Meine Augen sehen weit ins Land, nur weiß ich nicht so recht, ob ich staunen oder mich wundern soll. Im Juli 2016 lag
mir ein dichtes grünes Panorama zu Füßen, Wege oder Steingruppen waren nicht zu entdecken. Ganz anders heute. Ich
blicke auf eine weitgehend kahle Hügellandschaft, kann jeden Weg sehen, die Windungen und jede andere Kleinigkeit.
Monokultur durch Menschenhand, der Borkenkäfer und sicher auch die Unfähigkeit des Menschen, auf Krisen schnell
und richtig zu reagieren, haben nun dieses radikale Bild natürlicher Erneuerungen entstehen lassen. Das kann man
scheußlich finden, man kann aber auch die Chancen sehen, die wir nun haben. Allerdings sollten wir auch bereit sein,
sie zum Wohle aller zu nutzen. Ich sehe die Natur, erfreue mich am Brocken und steige dennoch mit Zweifeln wieder
abwärts. Dabei erblicke ich auf dem benachbarten Felsen eine schlafende junge Schönheit, die sich hoffentlich dort
nicht festgeklebt hat, um träumend (statt arbeitend) ihre Zukunft zu gestalten?
Minuten später wandern wir am kahlen Granitfelsen, den nur noch wenige Bäume schützen, vorüber. Seine Schönheit,
wie er da so einsam auf dem Berge steht, bestaune ich noch immer. An einem Haus vorbei führt unser Weg nun wieder
raus aus der Mulde, an deren Hang der Ottofelsen wacht, hinaus auf die kahlen, trockenen und erhitzten Hochflächen,
die noch vor Jahren von Wäldern überwuchert waren. Uns rinnt der Schweiß aus allen Poren, die Beine wollen nicht
mehr und das Gehen fällt auch schwer. Nirgends Schatten, keine Schutzhütte und keine Bank. Wir quälen uns regelrecht
weiter und hoffen auf Abkühlung. Wir sind jetzt sechs Stunden unterwegs, der prallen Gebirgssonne ausgesetzt. So
ausgepowert war ich noch nie und auch nie so glücklich, als wir endlich den Rastplatz erreichen, wo die alte
Postmeilensäule bewegungslos auf uns wartet. Endlich Schatten, endlich Pause - Zick!!
An diesem Tag kann ich meine Grenzen spüren, beinahe fassen. Wir brauchen ein paar Minuten, um für die letzten zwei
Kilometer halbwegs fit zu sein. Den Rest Trinkwasser aus der Kühlflasche schütte ich mir auf den Kopf, dann geht’s
weiter über die Freifläche bis zum Hohnehof. Wir entscheiden uns kurzfristig für eine eiskalte Cola auf der Terrasse,
schließlich sind wir nicht auf der Jagd, sondern nur beim Rentnern. Wir kommen mit einer netten Dame aus Göttingen,
über meinen Rucksack-Teddy, ins Gespräch, ehe wir zu dritt, jeder seinem wartenden Auto entgegen, wieder
aufbrechen. Nach reichlich sieben Stunden falle ich völlig erschöpft in unser Gefährt und rolle, mit dem Stempel der
Steinernen Renne im Gepäck und reichlich zwölf Kilometern in den Beinen, der erfrischenden Dusche entgegen.