Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
CITY – die letzte Runde in Thale
02.09.2022
Nun also die nächste Kapelle, die ganz bewusst ihre Segel einholt, ohne sich vorher über den Fang zu streiten. Das kann
man Stil nennen oder einfach nur vernünftig. Viele werden das ähnlich empfinden und die meisten werden deshalb
sicher traurig sein. Vor fünfzig Jahren, als City sich gründete, war ich dreiundzwanzig und wenig später dröhnte „Am
Fenster“ aus den Radiomembranen. Eine Single gab es nicht. Der Song katapultierte die Band in bisher unerreichte
Höhen und 1978 auch auf „meine Bühne“ in Elsterwerda. Ein Ereignis, das mir in Erinnerung blieb und beim 50.
Geburtstag von CITY wieder allgegenwärtig ist.
Zwischen einst bis heute besuchte ich etliche CITY-Konzerte, schrieb mindestens zehn Konzertberichte und auch nach
diesem Abend kann ich nicht anders. Meine Gedanken wirbeln durcheinander und sind heute auch bei Heike und Conny,
zwei City-Ladies, die irgendwo auf dieser „letzten Runde“ auch gern dabei sein würden, wenn sie denn könnten. Da bin
ich mir sicher. Wir waren Freunde, vor allem über die Musik von CITY. Im März 2007 durfte ich durch beide Gast beim
35. Band-Jubiläum im ABC-Club Berlin sein. Dort lernte ich beide persönlich kennen. Heute, fünfzehn Jahre später, bin
ich noch einmal dabei, wenn eine abschließende „Letzte Runde“ in Thale gefeiert wird. Diesmal aber Dank Katja vom
CITY-Fanclub „Grenzenlos“. Viele von ihnen denken heute sicherlich an Heike und Conny, die beiden Gründerinnen
dieses Fanclubs. Für mich schließt sich heute in Thale ein Kreis und ein weiteres Kapitel wird enden – „As Time Goes
By“.
Den ersten „Grenzenlosen“ begegne ich auf dem Parkplatz hinter der Kult(o)urbühne, den Rest später am Einlass.
Reichlich zwei Stunden vor Beginn, haben wir Gelegenheit, dem Sound-Check zu lauschen. Danach treffen wir die Band.
Toni, Fritz, Joro und Manne erhalten Geschenke, signieren Souvenirs bei Small Talk und überstehen gelassen die
Prozedur, einschließlich den Gruppenfoto. Die einströmenden Massen erlebe ich dann mit einer Bratwurst in der Hand –
was mut, dat mut! Ganz allmählich versinkt die Sonne hinter den Bergen. Es ist abendlich frisch, die erste Reihe hibbelig
und pünktlich zehn nach acht, als die Jungs die Bühnenbretter erobern – alles, was ich jetzt will, ist Rock’n’Roll und
natürlich LAUT!
Das rote Licht ist grell, die Stimmung am Siedepunkt und von der Bühne donnert das Intro „Hymne“. Der erste Part ist
geschickt gemacht und diese Idee, die Zeile „Come Together“ einzubinden, hat was von Gemeinschaftsgefühl, das über
unsere erste Reihe hinweg nach hinten strömt. Von jetzt an sind wir alle eins beim Feiern und inmitten „tief fliegende
Gitarren“, so O-Ton Toni Krahl. Der meint damit die deftigen alten Kracher, mit denen der Erfolgsära vor „Am Fenster“
der Weg geebnet wurde. „Es ist unheimlich heiß“ knallt mir, wie einst 1978 in EE, voll auf die Zwölf und haut mich
emotional beinahe um – Gänsehaut und Kloß im Hals. Den schreie ich mir beim „King vom Prenzlauer Berg“ wieder raus
und beim „Meister aller Klassen“ ist die Party längst voll im Gange. Was für ein geiles Gefühl, die alten Klassiker noch
einmal live um die Ohren gehauen zu bekommen! Ich schaue meine Nachbarn an und blicke in glänzende Augen –
Freudentränen – bei „Lieben und lieben lassen“ tanzt Toni über die Bühne und Joro, der Teufelsgeiger, lässt die Saiten
krachen. Hinter beiden bearbeitet Roger Heinrich, seines Zeichens einstiger Schüler von General Selmke, die Felle und
Becken. Rock’n’Roll, Power pur und das Ganze richtig LAUT! Endlich wieder!
Das Adrenalin steht uns jetzt bis unter die Schädeldecke, als Toni „Solche kleinen Hände“ ankündigt und darauf
verweist, dass sich heutzutage Nachrichten schneller verbreiten, als die Wahrheit. Da tobt der Beifall, um sogleich in
nachdenkliche Stille abzugleiten. Was für ein knisternder Augenblick, welch andächtig lauschende Menschmasse. Da ist
nichts abgesprochen, dies ist ein ehrlicher Moment, den wir alle teilen und dazu vom letzten Album „Wir haben Wind
gesät“ mit eindringlichen Worten, die hier im Talkessel, mit der plätschernden Bode im Hintergrund, nicht ungehört
verhallen. Da vorn sitzt ein Magier, der singend manch wirren Gedanken zu sortieren vermag und dafür leise Töne
benutzt. Ganz großes Kino zur rechten Zeit an einem wundervollen Ort. Beinahe wie 2017 im Bergtheater von Thale.
Vielleicht tanzen die Hexen auf dem Platz da oben gerade im Reigen und singen mit uns gemeinsam „Sag’ mir, wo die
Blumen sind“. Es könnte jedenfalls sein, denn in Momenten wie diesen ist wirklich alles möglich – die „Antwort weiß
ganz allein der Wind“, meint Toni, und danach folgt ein emotionaler Gruß an General Selmke, den Barfuß-Drummer, mit
der Band-Hommage „War gut“. Ein leises Erinnern im flackernden Lichtermeer der Feuerzeuge und Smartphones …
Dieses Wechselbad der Gefühle, das Eintauchen in die Tiefen der Emotionen, macht ein Kunsterlebnis, zumal ein Rock-
Konzert, aus, um danach wieder aufzuwachen und das pralle Leben zu feiern. In rotes Licht gestrahlt, geht die Party mit
„Flieg ich durch die Welt“ weiter. Niemanden hält es mehr auf den steifen Plastikstühlen. Direkt neben mir toben sich
zwei junge Ladies im Rhythmus des Songs aus und hinter mir gibt es niemandem mehr, der sitzen würde. Ich bin nur
ein Teil der wirbelnden Menge unter dem Sternenzelt. Die Spots tauchen das Areal in ein ständig wechselndes
Farbenspiel. Auf der Rampe sehe ich Joro, der mit dem Bass tanzt, und Toni, den Dompteur der jubelnden City-Herde,
die gerade nicht wahrnimmt, dass dies ein Abschied sein soll. Links erblicke ich Fritz und Manne der gemeinsame Band-
Ruhepol, lächelnd diese Szenerie bewachen. Egal, denn „Es ist immer noch Sommer (und nichts ist vorbei)“ dröhnt es
zu uns und die beiden Ladies neben mir toben weiter ihren Tanz – „man müsste noch mal zwanzig sein“, denkt der
Rock-Rentner in mir …
Konzerte muss man gesehen, erlebt und gefühlt haben. Worte sind da nur Krücken, so ein Ereignis an andere zu
vermitteln, ganz gleich, wie gut sie gewählt sind. In diesen Minuten fühle ich mich weg und alle. Die Erinnerungen
rennen mich innerlich um und doch weiß ich, diese zwei Stunden sind nicht auf ewig. Jeder sollte sich etwas Bleibendes
mitnehmen, denke ich, da erklingt etwas Neues. „Mit offenen Armen“ scheint mir so etwas wie eine Lebensmaxime zu
sein, eine feine Melodie, mit Anregungen, die Einmaligkeit Leben ehrlich zu gestalten: „Jeder Mensch braucht offne
Armen, ’n offnes Wort, ’ne offne Tür.“ Warum nur, denke ich, bekommen wir es als zivilisierte Gesellschaft nicht
gebacken, menschlich Differenzen zu überwinden und Unterschiede zu akzeptieren?? Danke für diese gesungenen
Worte in die dunkle Stille hinein.
Der Nachthimmel ist schwarz, die Spots strahlen und die Herzen hunderter glühen im Sound der Band. Es ist „Das Blut
so laut“, das wir spüren und von der Bühne kommend en gros Glückshormone verteilt. Ich jedenfalls fühle mich
glücklich im Sound von „Vater glaubte“, „Wand an Wand“ und „Mir wird kalt dabei“ sowie angesichts vom
„Pfefferminzhimmel“, unter dem sich zwei Palmen am Bühnenrand vor der Band verneigen. Dies ist die Stunde der
„Grenzenlosen“, die jetzt völlig frei ihre Abschiedparty an der Bühne wild tanzend und singend feiern. Als Gast dieser
eingeschworenen Gemeinschaft gönne ich ihnen dieses Vergnügen und freue mich, hier dabei sein zu dürfen. Gruß nach
oben, Heike und Conny sehen bestimmt gerade zu und einige andere aus unserer Mitte sicher auch.
Eine echte Kultband, die ein Stück deutscher Rock-Geschichte durch ihre Glaubwürdigkeit schrieb, ist dabei, sich im 50.
Jahre ihres Bestehens zu verabschieden. Mit deftigem Rock beschrieben sie filigrane Alltagsepisoden. Inmitten des
sabbernden Durchschnittsbreis definiert CITY ein Alleinstellungsmerkmal in Sachen Qualität und das seit Jahrzehnten,
wie „Berlin (z.B. Susann)“ noch einmal deutlich rockend spüren lässt. Toni dirigiert die Massen wie ein Jongleur mit
unsichtbaren Seilen. Wir schwingen unsere Arme über den Köpfen in den Nachthimmel und wissen, gleich wird der
Frontmann, der gerade noch solo mit Gitarre locker plaudert, zum großen Finale läuten. Nach einem wunderschönen
Solo-„Traum“ des Teufelsgeigers ist es gewiss – das war’s. Endgültig, Finale. Als sich die CITY-Musiker verbeugen, ist
diese letzte Runde am Ausgang des Bodetals verklungen, doch die Spots leuchten noch …
… „einmal wissen, dieses bleibt für immer.“ Diese Zeilen sagen im Grunde alles, erst recht, wenn eine Violine sie
einleitet. „Am Fenster“, der übergroße Überhit von CITY, wird gefeiert und zelebriert. Diese folkloristisch angehauchte
Melodie, eine feurig schluchzende Geige von Joro sowie ein grandioser Chor aus dreitausend Stimmen bilden das Grand
Finale. Vor uns auf der Bühne verbeugt und bedankt sich die Band, die wir spätestens ab Jahresende vermissen
werden. Vergessen allerdings niemals. Innerlich tief berührt und zu „sehn-suchts“-vollen Klängen verabschiedet sich
CITY von ihren Fans hier in Thale. In vielen Augen sehe ich zartes Glitzern und auch ich weiß gerade nicht, wohin mit
meinen Gefühlen. Einige liegen sich schweigend in den Armen, andere, so wie ich auch, realisieren ganz langsam,
woran sie noch sehr lange denken und sich erinnern werden – an eine Band, deren Musik uns unaufdringlich über
Jahrzehnte begleitet und tief im Blut berührt hat. Dafür ein von Herzen kommendes DANKE.