Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Durchs herbstliche Ilsetal zur Bremer Hütte
23.10.2022
Es war ein „Oster Dekret“, das Simone uns im Frühjahr übergab mit dem Ankündigung, mit uns durch das Ilsetal
wandern zu wollen. Inzwischen zaubert uns der Herbst bunte Laubwälder an die Berghänge und die Zeit ist endlich
gekommen, dieses „Oster Dekret“ zu verwirklichen: Wanderung durch das Tal der Ilse, entlang der Ilsefälle, bis zur
Bremer Hütte auf 530 Meter, halbe Brockenhöhe. Das klingt erst einmal verlockend und bis zur Schutzhütte zweihundert
Höhenmeter zu erklimmen, scheint auch nicht sonderlich aufregend. Dorthin wollte ich schon längst einmal, aber es
ergab sich nie von allein. Heute ist der Tag der Wahrheit, des schönen Wetters und auch der Ahnungslosigkeit. So
gelaunt, steige ich am Wanderparkplatz Ilsenburg gegen 10.00 Uhr aus dem Citröen.
Es läuft sich gut auf frischem Herbstlaub. Jedenfalls bis zum Wasserspielplatz ist das so. Am Tag zuvor waren wir Gäste,
als hier der Brockenballon zu seiner Reise in und über die Wolken aufstieg. Davon ist heute nichts mehr zu sehen und
als die Füße feuchtes Laub spüren, übernimmt Vorsicht das Zepter im feuchten Mischwald an der unteren Ilse. Es läuft
wie geschmiert im raschelnden Laub. Ich genieße es, entlang des stillen kleinen Flüsschens zu gehen. Die beiden
Damen vor mir sind zügig unterwegs, ich folge ihnen mit der Gewissheit, jederzeit aufschließen zu können. Mir liegt viel
daran, dem Herzschlag der Natur nachzufühlen und deren Gelassenheit aufzusaugen. Mit jedem Schritt gelingt mir das
besser und die weiteren Schritte führen unmerklich, aber stetig, in die Höhe. Es ist ein Vergnügen, durch den
herbstlichen Wald mit urwüchsigen Buchen zu gehen, das Wasser der Ilse leise plätschern zu hören. So ähnlich muss es
Heinrich Heine 1824 auch empfunden haben, auf dessen historischen „Harzreise“- Spuren wir uns gerade bewegen;
stetig und unmerklich aufwärts auf einem weichen Laubteppich.
Am Zanthierplatz, unterhalb des Ilsenstein, biegen wir nach rechts ab in den natürlichen Wanderweg. Der ist zwar
schwieriger zu begehen, bietet dafür aber viel mehr ursprüngliche Natur. Das Licht der Sonne scheint ins Tal, das
Wasser der Ilse glitzert und die Blätter leuchten in allen möglichen Farben im Spektrum zwischen grellem Gelb und
tiefem Rot. Die Ilse schlängelt sich zwischen den Steinen im Flussbett abwärts und glitzert dabei silbern. Wir gehen über
einen dichten Teppich aus gefallenden Blättern. Die Steine und Wurzeln darunter kann man nur ahnen, will man nicht
stolpern. Ich komme mir vor wie in einem Zauberwald.
Immer tiefer führt der Wanderpfad in das Tal der Ilse hinein. Hinter jeder neuen Biegung wechselt die Szenerie,
entdecke ich wunderschöne Blicke. Manchmal liegen alte Baumstämme im Wasser oder eine Brücke führt darüber
hinweg. Es ist ein Wandermärchen, denn der Herbst präsentiert uns seine pralle Schönheit. Schroffe Felsformationen
wechseln mit farbenfrohen Waldabschnitten, freien Sichtachsen und dichtem Unterholz. An einer besonders reizvollen
Stelle erreichen wir den Platz vieler Steintürme oder auch Steinmännchen. Die wachsen, indem Wanderer immer wieder
Steine auf einen der Türme legen und auf diese Weise die verschiedensten Formen entstehen lassen. Die geballte
„Versammlung“ an diesem schönen Ort ist besonders beeindruckend. Auch ich lege einen Stein auf eines der Gebilde.
Immer weiter führt der Weg entlang der Ilse. Mal leuchten die Bäume eher intensiv gelblich grün und dann wieder rot
bis rostbraun. In solchen Momenten könnte ich mich setzen und einfach nur staunen. Plötzlich öffnet sich das Tal, die
Hänge scheinen auseinander zu driften und der Fluss schlängelt sich breit zwischen großen Felsbrocken hindurch
abwärts. Wir haben den unteren Bereich der Ilsefälle an einer Weggabelung erreicht. Riesige Steinrocken türmen sich
im Flussbett wild übereinander und zwei besonders „wagemutige“ Herren blanchieren darauf und steigen darüber
hinweg. Eine Sitzgruppe lädt zur Rast und ich bin froh, eine Pause einlegen zu können, während es von oben
Herbstlaub „regnet“. Dies ist Kilometer vier unserer Wanderung und langsam ahne ich, dass der schwierigste Teil jetzt
erst noch vor uns liegt, nämlich dorthin, wo von weit oben das Wasser der Ilse herab strömt.
Von nun an führt ein schmaler Pfad steil oberhalb des steinigen sprudelnden Wasserfalls aufwärts. Ein jeder schnauft
für sich allein, kämpft sich über Steinbrocken oder sucht am Seil in der Felswand Halt. Inmitten rauer Natur steige auch
ich Schritt um Schritt in die Höhe oder erfreue mich, kurz haltend, an der urwüchsigen Natur, durch die sich die Ilse
schlängelt oder über Steinbrocken rauscht. Am Gedenk-Stein für Heinrich Heine verschnaufe ich einen Moment und
genieße den Blick ins wilde Gebirgswasser unter mir, das sich rauschend durch die Steine zwängt.
Und weiter geht es aufwärts. Links kantiges Felsgestein, rechts unter uns die Ilse und gegenüber der Hang, in dem
abgestorbene Stämme zwischen jungen Laubbäumen verklemmt liegen. Ein gefrorener Moment zwischen Sterben und
Schöpfung, zwischen Werden und Vergehen und mittendrin wir kleinen Menschen, die sich beseelt und verschwitzt nach
oben quälen, vom ständigen Klang des rauschenden Wasser begleitet. Es ist einfach nur traumhaft schön und mit
Worten nur schwerlich zu beschreiben. Als sich oben das Tal, und damit die Sicht, öffnet, sehe ich als erstes das Plateau
des Brocken vor mir, scheinbar zum Greifen nah. Wie schön! Hinter der letzten Biegung liegt eine riesige Lichtung vor
uns, an der sich viele Wege treffen. An deren Schnittpunkt steht eine kleine Schutzhütte. Wir haben unser Tagesziel
nach knapp drei Stunden erreicht – die Bremer Hütte. Hier finden wir auch den Stempel mit der Nummer sechs, der
seinen Abdruck in den Wanderheften hinterlässt. Ich bin selig und glücklich, hier zu sein. Ein stiller Ort im Harz, fernab
vom Massentourismus und Souvenirbuden. Hierher gelangt man nur aus eigener Kraft, durch eigenen Willen und das ist
auch gut so! Als Wanderer genießt man diesen Augenblick, sieht Gleichgesinnte ankommen und andere den schwierigen
Anstieg zum Brocken beginnen. Einer macht das heute mit dem Mountainbike und nur mit Muskelkraft. Respekt.
Noch ein Rundumblick, ein letztes Mal auch zum Brocken, und schon tragen uns die Füße zurück, ins Tal hinunter.
Während ich bergauf nur Kraft und Ausdauer durch Muskelkraft benötige, erzeugt jeder Schritt abwärts einen kleinen
Stoss in die Gelenke, insbesondere des Beckens. Aus Erfahrung weiß ich, wie schmerzhaft das sein kann und beim
Gehen behindert. Doch zunächst erfreue ich mich am Anblick der Ilsefälle, diesmal aber von der anderen Talseite.
Gegenüber erblicke ich Wanderer, die jenen Pfad hinauf steigen, auf dem auch wir vor kurzem noch stiegen und uns
quälten. Jetzt folge ich den beiden Damen lockeren Schritts, nicht ohne immer wieder mal den Verlauf der Ilse zwischen
den Steinen zu bestaunen. Ein faszinierender Anblick und auf dem breiten Weg läuft es sich leicht - noch.
Uns empfängt bald wieder die herbstliche Farbenpracht an den Hängen und nur ganz oben ragen die toten Baumreste
ins Blau. Dazwischen jedoch ist es grün und bunt. Das Neue sucht sich sein Terrain und in wenigen Jahren wird es hier
ganz anders aussehen. Jetzt abwärts merke ich erst, dass sich die Ilsefälle über einen ziemlich langen Abschnitt
erstrecken und von dieser Seite ganz anders aussehen. Nicht so wild und gefährlich, aber immer noch faszinierend wild
und unsagbar schön. Am Rand lagert viel Bruchholz und ganz allmählich wird der Weg zurück steiler und mein Rücken
sendet erste Signale: „Becken an Großhirn - Aua!“
Wir passieren die Wegkreuzung am unteren Teil der Ilsefälle und haben bald jenen Teil erreicht, der nur noch geringes
Gefälle hat. Wir wechseln von der breiten Waldstraße wieder zu dem Waldweg auf der anderen Seite der Ilse, haben
aber immer noch einen ziemlich langen Weg vor uns. Der führt uns auch wieder über Stock, Stein und Wurzeln, die sich
unter einer dichten Laubdecke verbergen, Es ist traumhaft schön hier und ich entdecke jetzt andere faszinierende Blicke
ins breite Tal. Links am Hang krallen sich Bäume mit ihren Wurzeln in den Boden und den Fels. Vielleicht schauen von
einem dieser skurrilen Gebilde Glöckchen und Tröpfchen mit Rinderich zu uns herab. Ob sie sehen, wie schwer der
Schritt des Rock-Rentners inzwischen ist? Egal, er muss weiter gehen, dem lockenden Ziel entgegen.
Vorbei an Brücken, umgestürzten Bäumen und großen Klamotten am Ilseufer. Wir erreichen wieder den Platz der
kleinen Steinmännchen und aufgestapelten Türme aus Steinen und gehen zwischen den hoch gewachsenen Buchen
hindurch bis zum Zanthierplatz, der einem Oberforstmeister von Zanthier gewidmet ist, einem Mitbegründer moderner
Waldbewirtschaftung. Wieder etwas Neues dazu gelernt. Der Weg endet schließlich beim Waldhotel „Am Ilsestein“. Von
nun an laufe ich auf Pflaster, was den Zustand meiner Gelenke aber nicht mehr ändert. Die Hüfte funktioniert ohne
Mucks, das Becken lernt gerade, wieder eine normale Stellung einzunehmen und das spüre ich wohl noch eine Weile.
Unsere Wanderung durch das Ilsetal, und damit die Erfüllung des „Oster Dekrets“, endet am Tisch im Restaurant
„Nagelschmiede“. Ich bin „fick und fertig“, würde Narumol jetzt zu ihrem Josef sagen, aber ich bin auch glücklich, diese
herrliche Herbstwanderung gemacht und überstanden zu haben. Leckerer gebratener Lachs landet auf meinem Teller
und bei fröhlichen Gesprächen klingt ein wundervoller Tag aus. Dafür noch einmal DANKE, liebe Simone, und es darf
gern eine weitere gemeinsame Wanderung irgendwo und irgendwann im Harz geben.