Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
                                      Ich bin der  RockRentner im Harz
          und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Am Dreieckigen Pfahl und zum Eckersprung                                                                  28.04.2022 Hätte mir jemand vor reichlichen drei Jahrzehnten prophezeit, dass ich einmal südlich vom Brocken, also im westlichen Teil vom Harz, entlang des ehemaligen Grenzverlaufs wandernd unterwegs sein würde, den hätte ich für total verrückt erklärt. Daran musste ich denken, als ich heute über den Harz bis zum kleinen Parkplatz am Hüttendorf Oderbrück, zwischen Torfhaus und Braunlage gelegen, fuhr. Dieser kleine Ort eignet sich hervorragend, um von hier aus Wanderungen zur historischen Talsperre Oderteich, zur Wolfswarte, zur Achtermannshöhe oder auch bis zum Brockenplateau zu unternehmen. Ich hatte mir heute den Dreieckigen Pfahl als Ziel ausgesucht. Ein geschichtsträchtiger Ort in vielerlei Hinsicht, inmitten ursprünglicher Natur und auf halbem Wege zum Brocken zu finden. Es ist Schlag 11.00 Uhr, als ich mir den Rucksack auf den Rücken schnalle und den Wanderstab in die Hand nehme. Die Sonne strahlt zwischen weißen Schäfchenwolken hervor und ein zarter Wind hält die Luft frisch. Nach wenigen Metern, wo die Oder – eine Oder gibt es hier auch - als kleines Bächlein im Unterholz plätschert, wird man vom Wald quasi verschluckt. Der Weg windet sich am Bach und Moos entlang in das Waldgebiet hinein. Bizarres abgestorbenes Holz wechselt mit grünen Fichten in allen Größen und ehe man es wirklich bemerkt, sieht man ringsum typische Harzlandschaft, von Stürmen, Borkenkäfern und Trockenheit gezeichnet. Beinahe unmerklich windet sich der Wanderweg durch die Natur und bald ist eine Gabelung an einer hölzernen Brücke über das Bächlein namens Oder erreicht. Geradeaus, der Nase nach, kann man auf direktem Wege zum Dreieckigen Pfahl gelangen. Wir aber möchten als Zwischenziel noch eine Aussichtsplattform am Bodebruch ansteuern. Wir lenken unsere Schritte nach rechts über die Brücke, immer weiter in einen Waldbestand mit bizarren Formen hinein. Hier sind viele Fichten entweder abgestorben, weil vom Borkenkäfer befallen, oder schlicht im Sturm abgebrochen. Da dies hier zum Nationalpark Harz gehört, greift der Mensch nur dann in die Natur ein, wenn entwurzelten Bäume zur Gefahr werden könnten. Ansonsten bleiben Wald und wuchernde Natur ganz und gar sich selbst überlassen. Je höher wir aufsteigen, desto mehr finden wir uns zwischen kahl aufragenden grauen Baumfragmenten wieder. Man läuft durch eine unwirkliche fremde Welt, wo noch vor wenigen Jahren dichter gesunder Fichtenwald prangte. Wo mir heute die Sonne unbarmherzig auf die spärliche Haarpracht brennt, lief man noch vor kurzem im kühlen Schatten hoher Baumriesen, die dicht an dicht wuchsen. Heute kann ich über die kahlen Bergkuppen bis weit über den Harz schauen. Sogar der Sendemast auf dem Brocken blinzelt mir über die Baumkronen zu. Den tollen Blick würde ich liebend gern gegen die dichten grünen Wälder von einst eintauschen. Nur manchmal findet man hier noch solche Bereiche, die daran erinnern, wie es einmal aussah. Nach einem Berg folgt ein Tal, nach einer Anhöhe eine Senke. Hier ist es auch so. Nachdem die kleine Höhe mit den grauen Baumresten bezwungen ist, führt der Weg in eine Senke, die mit Grün lockt, fast wie im Märchenwald. Zwischen all dem toten Gehölz wächst jede Menge junger Bäume und mittendrin entdecke ich einen Holzstieg. Diese Umgebung erinnert mich an ein Hochmoor. Wenn jetzt Baba Jaga um die Ecke käme, es würde mich nicht wundern. Hier ist es wunderschön, wild und auch romantisch. Die Aussichtsplattform sollte hier zu finden sein. Aus der Senke heraus führt ein steiler Anstieg. Oben angekommen, ist gut versteckt, eine Art Baumhaus zu sehen. Die Aussichtsplattform Bodebruch bietet einen Blick über das Quellgebiet der Großen Bode. Dies ist das Hochmoor Bodebruch, mit einem Alter von ungefähr 4.000 Jahren. Da stehe ich in einer kleinen engen Holzhütte auf Stelzen und bewundere vier Jahrtausende Naturgeschichte. Vielleicht sollte ich einem Augenblick die Luft anhalten, schweigen. Hier kann man, so man möchte, Zeitverlauf sehen. Man sollte aber genau hinschauen und schon bald erwachen die Gedanken: Sowohl Zeit, als auch die Natur kommen länger als 4.000 Jahre locker ohne uns Menschen aus … Wenige Minuten später laufen wir weiter. Am Rand vom Weg, von der Sonne kaum zu erreichen, sind letzte weiße Reste des Winters zu sehen und dann öffnet sich vorn eine Lichtung. Hier treffen sich die Wege und wir treffen auf eine Gruppe Wanderer. Unser Ziel, der Dreieckige Pfahl, ist erreicht. Dieser Stein aus grauem Granit, über einen Meter hoch, markierte ursprünglich ein Dreiländereck. Auf mehr als 850 Meter gelegen, markiert der Stein auch die einstige innerdeutsche Grenze und war damals von Niedersachsen aus jederzeit frei erreichbar. Nur wenige Meter oberhalb steht eine alte Markierung der Grenzanlagen neben dem Weg. Der Dreieckige Granitpfahl selbst versteckt sich etwas unterhalb nahe einem Krüppel von Baum und kann daher ganz leicht übersehen werden. Später wird uns ein Paar aus Hannover das bestätigen. Die Gruppe Wanderer wird von einem der Park-Ranger auf den Spuren der einstigen Grenze geführt. Wir nutzen den historischen Ort für eine kleine Rast. Die wandernde Gruppe werden wir später, direkt auf dem ehemaligen Betonband der Grenze, noch einmal antreffen. Bis zur Schutzhütte mit dem Stempel für den Dreieckigen Pfahl (Nummer 168) folgen wir den Wanderern die nächsten einhundert Meter bis zur Schutzhütte. Die kleine Holzhütte steht an einer Kreuzung. Genau hier führt auch das Betonband vorbei, das quasi den Lauf der Grenze für heutige Besucher markiert. Der Stempelabdruck ziert jetzt unsere Hefte, wir haben unser Ziel erreicht, den Tagesplan erfüllt. Wir kommen mit einem Paar ins Gespräch, das aus dem Westerwald hierher kam, nur um den Harz zu bewandern. Ein Wort gibt das andere und plötzlich kommt der Hinweis, dass nur knapp einen Kilometer von hier noch die Stempelstelle am Eckersprung, mit der Nummer 136, leicht zu erreichen wäre. Auf einem Wegweiser, gleich neben der Hütte, sehen wir den Hinweis bestätigt. Statt jetzt den Rückweg zu wählen, entscheiden wir, noch zum Eckersprung zu wandern, um dort einen zweiten Tagesstempel einzusammeln. Von jetzt an folgen wir exakt dem Kolonnenweg des ehemaligen Grenzverlaufs; links West, rechts Ost. Tatsächlich spüre ich aber das Gefühl gar nicht mehr. Dreißig Jahre danach, längst im neuen Leben, sowie im schönen Harz, angekommen, empfinde und genieße ich einfach nur das Laufen durch den Wald, der hier dicht gewachsen den Weg säumt. In einer Senke der Schneise liegt sogar noch etwas Schnee vom Winter. Es ist glatt, ich bewege mich vorsichtig am Rande entlang und dann geht es auf dem Betonband stetig aufwärts, immer tiefer in dichten Wald hinein. In der Ferne hört man die Lok der Brockenbahn pfeifen, wir aber biegen nach links in den Goetheweg ein und stehen nach hundert Metern vor der Holzhütte mit dem Stempelkasten am Eckersprung, auf knapp 900 Höhenmetern. Wir haben es endlich geschafft, am Ziel angekommen! Der Stempel befindet sich direkt am Goetheweg, der, von Torfhaus kommend bis, hinauf zum Brocken führt. Hier soll der große deutsche Dichter im September 1777 einen Aufstieg zum Berg bewältigt und dabei die vierhundert Höhenmeter überwunden haben. Uns stecken ungefähr die Hälfte davon in den Beinen und ein weiterer Stempel im Wanderheft. Noch ein Foto an der einstigen Grenzmarkierung zur Erinnerung und diesmal treten wir, nach drei Stunden Wanderung, den Rückweg an. Später werde ich feststellen, dass wir uns gerade einmal dreihundert Meter von den Schienen der Brockenbahn entfernt befanden. Schade, bis dorthin hätte ich mich noch quälen wollen, um dem Bähnle einmal zuwinken zu können. Zurück laufen wir wieder auf dem Betonband und begegnen der Wandergruppe vom Dreieckigen Pfahl noch einmal. Großes Hallo und „bis zum nächsten Mal“! Am Rastplatz zum Pfahl legen wir wieder eine kurze Pause ein und werden in ein weiteres Gespräch verwickelt. Die beiden aus Hannover outen sich als Fans von City und ich mich als jemand, der die Kapelle gut kennt. Unser Gespräch setzen wir noch eine Weile gehend fort, ehe die beiden sich von uns trennen. Der Rückweg führt uns am Dreieckigen Pfahl vorbei und dort entscheiden wir uns, einen anderen Weg zu wählen. Minutenlang laufen wir auf einem breiten Wanderweg durch Bereiche mit kahlen grauen Baumresten, zwischen denen Sprösslinge den frischen Wald andeuten. In zehn Jahre sieht es hier sicher schon ganz anders aus und ich werde mich davon überzeugen. Ich werde hier noch einmal laufen, nur um bis zur Brockenbahn zu gelangen und wer weiß, vielleicht zu Fuß bis auf den Brocken. Nur ein einziges Mal möchte ich es tatsächlich für mich ganz allein schaffen, es mir beweisen. Wir laufen vorbei an einem kleinen Tümpel und entdecken wirklich zwei Enten darin. Neben dem Weg plätschert ein kleines Rinnsal abwärts, das unten in die Oder münden und zum Oderteich fließen wird. Dorthin könnte eine unserer nächsten Routen führen. Heute bin ich glücklich, am Nachmittag wieder den Parkplatz Oderbrück erreicht zu haben. Die Bewegung an der frischen Waldluft, mindestens acht Kilometer in den Beinen und die pralle Sonne auf der Birne, haben mich müde, aber innerlich glücklich gemacht. Was für ein wundervolles Privileg, diesen Naturschatz direkt vor der Nase zu wissen und je nach Lust, Laune und Wetter entscheiden zu können, im Harz auf allen möglichen (und unbekannten) Wegen unterwegs sein zu können. Rock-Rentner nahe dem Nationalpark Harz zu sein – „werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön“ (Goethe, Faust 1).